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„Jeder Missbrauchsfall ist einer zuviel“ – Bischof Algermissen predigte an Silvester im Fuldaer Dom

Fulda. Die Kirche lebe von jeher in dauernder Spannung zwischen ihrer geistlichen, göttlichen Dimension sowie ihrer irdischen, menschlichen Verfasstheit. Daher sei es auch keine neue Einsicht, „dass wir eine Kirche der Sünder sind“. „Sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen innerhalb der Kirche, und das durch Geistliche und Ordensleute, das tut weh, das ist beschämend und bitter.“ Das stellte Bischof Heinz Josef Algermissen am Freitagabend in seiner Silvesterpredigt im Fuldaer Dom heraus. „Jeder einzelne Fall in unserer Kirche, auch in unserem Bistum, selbst wenn er schon ganz lange zurückliegt, ist ein Fall zu viel.“ Der Oberhirte machte deutlich, dass ihm solche Nachrichten auch persönlich wehtäten. Dass so etwas andernorts auch passiere, sei keine Entschuldigung. „Ein solches sündhaftes Verhalten, besonders bei Amtsträgern, verdunkelt das Evangelium und macht die Botschaft der Kirche insgesamt unglaubwürdig.”

Dies gelte auch von anderen Sünden der Getauften: von Habsucht und Verleumdung, von Untreue, Gleichgültigkeit und Stolz, fuhr Algermissen fort. Von der „Kirche der Sünder“ könne sich keiner ausnehmen, „auch nicht wir Priester und Bischöfe“. Heilung sei zu finden durch Reue, Umkehr, durch Bitte um Vergebung vor Gott und denen, „die wir durch unser Versagen geschädigt haben“. Wer meine, die Kirche verlassen zu müssen, schneide sich jedoch selbst von dem göttlichen Arzt ab, der die Wunden heilen könne, Jesus Christus, betonte der Bischof im Hinblick auf Kirchenaustritte.

Das Erschrecken über das, was in den Reihen der Priester und Ordensleute zum Vorschein gekommen sei, könne die heilsame Folge haben, dass man wieder ernsthafter mit der Realität von Schuld und Sünde rechne. Man müsse sich fragen, worauf der eigene Glaube gründe: „nicht auf Menschen, mögen sie noch so vorbildlich sein, sondern allein auf Gott und seine Verheißung, dass er uns durch Jesu Hingabe aus Sünde und Tod errettet hat.“ Die Kirche brauche das Erbarmen Gottes, den Brunnen der Reinigung und die tägliche Tauferneuerung. Reue und Umkehr und die sakramentale Beichte seien wirklich notwendig.

Die Kirche schrumpfe heute ähnlich wie auch die Wirtschaft, die Finanzkraft der Länder und Kommunen, die Geburtenzahlen und die sozialen Dienstleistungen. „Schrumpfen schafft Frust und zwingt zum Nachdenken, wie es weitergeht“, betonte Bischof Algermissen. Auch in der Kirche seien weithin das Gewohnte und das bisher Übliche der Maßstab, an dem alles gemessen werde. „Bei uns war das doch immer so!“ – diese Antwort hörten die Pfarrer der Diözese oft, wenn sie Veränderungen einführten und Gewohntes umstellen wollten. „Die Zahl der Priester verringert sich in allen Bistümern und auch im Bistum Fulda“, gab der Oberhirte zu bedenken. Daher gelte es zu überlegen, was Getaufte und Gefirmte „legitim auch ohne Priester machen können“.

Wort-Gottes-Feiern, Krankenbesuche, Begleitung von Taufbewerbern und religiöse Unterweisung der Kinder vor der Erstkommunion und Firmung seien auch Sache von Laienchristen, die dazu aber „Unterstützung, Zurüstung und Rückenwind“ aus den Gemeinden bräuchten. „Solche Dienste konstituieren Kirche, machen sie lebendig und helfen, Kirche vor Ort, auch wenn dort kein Pfarrer wohnt, präsent zu machen“, so der Bischof weiter. Ein Verwaltungsrat, der auf das vorhandene Geld schaue und mitentscheide, wo es sinnvoll einzusetzen wäre, sei eine große Hilfe und mache kirchliche Verantwortung konkret.

„Frauen und Männer in den Pfarrgemeinde- und Verwaltungsräten werden zukünftig noch stärker als bisher das Bild unserer Gemeinden mitprägen“, zeigte sich Algermissen überzeugt. Sodann rief er dazu auf, die Kirchen vor Ort nicht leer werden zu lassen. „Sucht den Gottesdienst, haltet fest am Kirchenjahr, am gemeinschaftlichen und persönlichen Gebet! Helft den Priestern und den in der Seelsorge Tätigen dadurch, dass Ihr sie nicht allein lasst!“

Wie der Bischof weiterhin deutlich machte, war die Kirche in ihrer langen Geschichte noch nie eine heile Gemeinschaft, „aber sie ist eine notwendige Heilsgemeinschaft“. Denn sie verweise auf das Gebot des Herrn, Gott und den Nächsten zu lieben und den Schwachen beizustehen; sie verkünde den Menschen das Wort der Schrift, das sie mit Jesus Christus bekannt mache und Orientierung für das Leben gebe; sie feiere mit den Gläubigen die Sakramente, die ihnen österliche Hoffnung gäben und sie auf dem Weg zu Gott festigten. „Wenn das gesichert bleibt, mag das eine oder andere am Äußern der Kirche sich noch ändern, es wird aber nicht ihr Wesen ändern“, unterstrich Algermissen.

Die Kirche habe ihre Überzeugungen und wisse sich anderen Maßstäben verpflichtet als denen des Zeitgeistes. „Sie geht ihren Weg in der tiefen Überzeugung, dass manche Werte, die heute nicht hoch im Kurs stehen, morgen wieder neuen Glanz gewinnen werden.“ Dazu gehörten beispielsweise der Glaube, dass diese Welt nicht nur Material zum Ausbeuten sei, sondern „Schöpfung, für die wir Verantwortung tragen“, oder dass die Menschen als Kinder Gottes alle die gleiche Würde und das gleiche Lebensrecht hätten, ob es sich nun um einen menschlichen Embryo handle oder um einen Alzheimer-Patienten. (bpf)

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