Vogelsberg. Bis vor wenigen Jahrzehnten war das hessische Mittelgebirge in der Hauptsache landwirtschaftlich geprägt und wurde nicht unter den gängigen deutschen Urlaubszielen geführt. Das soll nun geändert werden. Man hat erkannt, dass der vulkanische Ursprung der Region ein Pluspunkt sein kann. Und seitdem Umwelt- und Naturschutz immer wieder ins Bewusstsein rücken, wie wichtig der Schutz besonderer Landschaften ist, beginnt ein Umdenken. Der Vorsitzende des Vereins Pro Vogelsberg Touristik e.V., Hubert Straub, bezeichnet den Vogelsberg als eine Art “Erlebnispark”, dessen Besucherfrequenz stark vom Wetter abhängig ist: “Bei idealem Wetter ist der Hoherodskopf, der Vogelsberger Hausberg, inzwischen sogar überlaufen. Dagegen sind das dazu gehörende Städtchen Schotten und die Dörfer am Fuße des Berges mit ihren Angeboten zwar wahrnehmbar, doch für das Gros der Besucher bisher nicht relevant.”
Wenn das regionale Angebot für Freizeit und Kultur in den Orten öffentlich gemacht würde, könnten Feriengäste dort mit einsteigen. Nach Meinung von Straub sollen Touristen aus den Dorf-Gemeinschaften nicht ausgeschlossen bleiben: “Offene Angebote bieten für die wirtschaftliche und touristische Entwicklung der Region erweiterte Möglichkeiten – sozusagen im Rahmen eines integrativen Dorfkruges.” Für den Leiter des Schottener Forstamtes, Dr. Bernd Ott, sind die Besucherzahlen – wenigstens im Winter – merklich angewachsen: “Das ist natürlich schneeabhängig.” Die neuen Wintersportangebote mit Skiverleih und Übungsloipe unterhalb des Hoherodskopfes an der Taufsteinhütte wurden gut angenommen. Jetzt soll die gleiche sportliche Zielgruppe für Radtouren in den Sommermonaten erreicht werden: “Radfahren auf den Waldwegen im Naturpark ist eine tolle Sache. Wir haben wenige Tabuflächen für Erholungssuchende im Wald.”
Das Land soll begehbar bleiben, jedoch nicht gänzlich ohne Einschränkungen – Naturschutz-Flächen sind mit Schildern gekennzeichnet. “Eigentlich ist ja die Holzbewirtschaftung unser Geschäft”, meint Dr. Ott. “Trotzdem wollen wir helfen, im Rahmen eines sanften, naturverträglichen Tourismus die Besonderheiten und Naturschönheiten für Besucher sichtbar zu machen.” Von Cornelia Reinders, Bereichsleiterin der Werkstätten für behinderte Menschen und Annabel Schmidt, ihrer Marketingassistentin im gut frequentierten Vogelpark Schotten, erfährt man, dass die Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Tourismus und Stadtmarketing (GTS) in Schotten hervorragend klappt. Gleichwohl wünscht man sich mehr und zusätzliche Kooperation mit weiteren Anbietern sowie einen erweiterten Blick über den Tellerrand: “Von der Bekanntheit einzelner Gruppierungen und Veranstaltungen könnten alle im Vogelsberg profitieren – so wie bei unserem Zusammenschluss mit der Sommerrodelbahn, dem Kletterwald und dem Infozentrum des Naturparks auf dem Hoherodskopf.”
Für erstrebenswert hält man eine Bündelung von Interessen, z. B. bei Messeauftritten und einem kollektiven Veranstaltungskalender. Das könnte Ressourcen sparen und die Region insgesamt voranbringen. Auch das Einbeziehen von Vereinen und Dorfgemeinschaften, die “Manpower” mitbringen, wird als vorteilhaft erachtet. Bislang besteht die Mehrzahl der Vogelparkbesucher aus Einheimischen, dazu kommen viele aus der Umgebung von Frankfurt, Hanau und Fulda. Eigene Besucherbefragungen ergaben, dass die meisten der Stammkunden durch Mundpropaganda hinzugewonnen werden.
Die Inhaberin des Landgasthofs Kupferschmiede in Schotten-Rainrod, Gudrun Straub, bestätigt die Beliebtheit von Zweit- oder Kurzurlauben im Vogelsberg. Doch trotz vieler Wandergruppen ist in der sommerlichen Hauptferienzeit ihr Dreisterne-Gasthof nicht ausgebucht. “Die Leute sind wahrscheinlich etwas sparsamer geworden”, glaubt sie. “Zudem ist der echte Tourismus in der Region bei den Einheimischen noch nicht richtig angekommen, obwohl unser Destinationsangebot inzwischen längst vielfältiger geworden ist. Denn man braucht alle Menschen in der Region dafür. Es können nicht nur Gastronomen und Touristiker das Gefühl ‘Urlaubsregion’ nach außen tragen.”
Von den einheimischen Touristikern erhofft sich die Gastwirtin das Entwickeln neuer Strategien, Strukturen und weiterer interessanter Ideen, die zentral angeboten werden könnten. “Da unser Familienbetrieb 6,5 Tage durchgehend geöffnet ist, kann ich mir darüber nicht auch noch Gedanken machen.” Im Vogelsberg ist es generell noch nicht gut möglich, ausschließlich von Einnahmen aus dem Tourismus zu leben. Das belegt u. a. Thomas Fritz, Sohn eines Landwirtes und Speditionsangestellter, der nebenberuflich eine moderne Fuhrhalterei in Ulrichstein-Rebgeshain betreibt. Seine Vogelsberger Familie empfindet die steigende Tendenz im Tourismus als sehr positiv. Sie ist mit der Erwartung verbunden, durch Umwandlung der landwirtschaftlichen Fläche zu Zwecken der Erholung, Geld verdienen zu können.
Als Einheimische fahren Thomas Fritz und seine Frau Tina zum Bummeln und Einkaufen nicht “hinunter” in Richtung Schotten, sondern von ihrem Wohnort aus eher nach Lauterbach und Fulda. Ihrer Meinung nach ist auch dort der Tourismus nicht spürbar vorhanden, geschweige denn auf den Dörfern: “Uns fehlen wirkungsvolle regionsübergreifende Medien, die die Angebote allgemein bekannter machen könnten.” Der Jahresbericht, den Ralph Koster, Geschäftsführer der Gesellschaft für Tourismus und Stadtmarketing in Schotten (GTS), für 2009 kürzlich vorlegte, bestätigt viele der Eindrücke. Seit der Gründung der GTS steigen die Übernachtungszahlen und der Umsatz kontinuierlich.
Zum Schlagwort “Qualitätstourismus” will Schotten in Zukunft mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis punkten. “Wir müssen weg von den Billigangeboten”, ist Koster überzeugt. “Es wird investiert in die Umsetzung einer zentralen Buchbarkeit, bessere Möglichkeiten zur Gästebetreuung sowie die ständige Erreichbarkeit für unsere Gäste. In der Stadt selbst werden in den nächsten Jahren verschiedene Fördermaßnahmen die Attraktivität erhöhen.”