Rhön. Auf Einladung des Biosphärenreservates Rhön sprach der wohl renommierteste deutsche Klimaforscher Prof. Dr. Hartmut Graßl in Hilders im Hotel Engel über die Folgen des weltweiten Klimawandels für die heimischen Mittelgebirge. Graßl lehrte von 1989 bis 2005 als Professor im Meteorologischen Institut der Universität Hamburg. In dieser Zeit war er auch Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie. Von 1994 bis 1999 war Graßl Direktor des Weltklimaforschungsprogramms WCRP der World Meteorological Organisation in Genf sowie über viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des „Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung. 1998 wurde ihm der Deutsche Umweltpreis der Deutschen Bundesstiftung Umwelt verliehen.
Am Anfang der Ausführungen stand die Feststellung: „Der Klimawandel findet statt – über die Auslöser kann man diskutieren – die Schäden für Mensch, Natur und Wirtschaft sind gravierend!“ Graßl machte deutlich, dass der durch Menschen verursachte Klimawandel schon lange ein Thema der Wissenschaft ist. So wurden bereits 1896 die Auswirkungen der Kohleverfeuerung in England auf das Weltklima von schwedischen Wissenschaftlern diskutiert. Seit den 1960er Jahren sind die durch Menschen verursachten Klimaveränderungen ein wichtiges Forschungsthema an vielen Universitäten, so dass heute sehr verlässliche Klimamodelle möglich sind.
Unbestreitbar ist für Prof. Graßl, dass der gegenwärtige Klimawandel für Millionen Menschen lebensbedrohend ist. Dabei sind die Veränderungen in Mitteleuropa mit seinem klimatischen „Schongebiet“ vergleichsweise gering. In anderen Teilen der Erde, wo Menschen bereits in der Vergangenheit in einem klimatisch schwierigen Umfeld lebten, verschärfen sich die Gegebenheiten erheblich.
Wassernotstand und Hunger sind die Folge, große Teile der Erde wie der Norden Afrikas werden zunehmend unbewohnbar. Klimaflüchtlinge und politische Unru-hen werden zu einer ernstzunehmenden Bedrohung. Vor diesem Hintergrund hat Graßl kein Verständnis für selbsternannte Klimaexperten, die den Klimawandel ignorieren oder verharmlosen. Prof. Graßl: „Wir können uns froh und glücklich schätzen, dass es bei uns in Mit-teleuropa das ganze Jahr über Regen gibt – auch wenn allerlei Moderatoren ständig über das sogenannte schlechte Wetter lamentieren!“
Allen ist klar, dass der Klimawandel ein weltweites Problem ist, dass nur von den Vereinten Nationen gelöst werden kann. Dabei sind die derzeitigen Perspektiven nicht schlecht, seit auch die USA und Japan den Klimaschutz bejahen. Das Klima ist die natürliche Ressource schlechthin. Es hat entscheidende Auswirkungen auf Sonneneinstrahlung, Wasser, Nahrung und Sauerstoff. Das Klima dominiert das Leben. Graßl: „Wer das Klima rasch ändert, der greift das Leben an“. Seit der letzten Eiszeit vor 20.000 Jahren, als es im Harz noch Gletscher gab und heute hat sich die Temperatur nur um 4 – 5 Grad erhöht.
Trotz dieser Vergleichsweisen langsamen Veränderung ist Mitteleuropa extrem Artenarm im Vergleich zu anderen Regionen der Erde, wo es diese massiven natürlichen Klimaschwankungen nicht gab. Heute verändern menschliche Einflüsse durch Freisetzung von Spurengasen das Klima schneller und mit Auswirkungen für die nächsten Jahrtausende. Der Wasserdampf verursacht 2/3 des Treibhauseffektes. Kohlendioxid 1/7 und Ozon 1/10 des Treibhauseffektes. Lachgas und Methan sind zu je 1/30 beteiligt.
Graßl fordert einen bewussteren Umgang mit unseren Ressourcen. Als Beispiel nennt er die Düngung mit Stickstoff, welches von der Natur teilweise zu Lachgas umgewandelt wird und damit unmittelbaren Einfluss auf das Klima hat. Mit Blick auf Europa prognostizieren die Wissenschaftler ein weiteres Fortschreiten der Wüstenbildung im Mittelmeerraum. Insgesamt sind weite Teile Europas von Sommerdürren bedroht.
Für Deutschland wird erwartet, dass die Trockenperioden um 20 % zunehmen. Demgegenüber nehmen in weiten Teilen die Niederschläge im Winter in Europa zu. Mit Extremereignissen und größeren Katastrophen rechnet der Wissenschaftler auch in Europa. An den Küsten wird sich der gegenwärtige Meeresspiegelanstieg von 3,8mm pro Jahr weiter beschleunigen.
Mit Blick auf die Rhön prognostiziert der Professor das Ende des kommerziellen Wintersports bedingt durch wärmere Winter. Der Verlust an Sommerniederschlägen fällt in den Gebirgsregionen prozentual niedriger aus als in der Niederung. Im Sommer ist aber mit einer Zunahme an Sturzfluten zu rechnen. In den Wäldern profitieren Buchen und Eichen, der Fichte werden kaum Chancen eingeräumt. Kaum zu verhindern wird das Aussterben von endemischen, kälteliebenden Arten in Gipfellagen sein.
Graßl hofft darauf, dass gerade die deutschen Biosphärenreservate als „gemanagte Ökosysteme“ zügige Anpassungen an den Klimawandel vornehmen und durch „innovativen Umbau“ die Schrecken des schnellen Klimawandels abfedern. Für Graßl steht fest: „Je innovativer eine Region ist beim Umbau, umso besser wird es ihr gehen.“ Größte Hoffnungen setzt Graßl dabei auf die Nutzung der unmittelbaren Sonnenenergie. Und Sonnenenergie ist höchst ergiebig. So lässt sich auf einem Solarfeld die vierzigfache Menge an Energie gewinnen, als dies mittels Maisacker und Biogasanlage auf der gleichen Fläche möglich wäre.
Der Professor weiß allerdings auch, dass der Umbau auf nachhaltige Energieträger massiver Anstöße und Proteste der Bürger bedarf. Viel lieber möchte die Industrie mit abgeschriebenen Altanlagen Milliardengewinne erzielen.
Otto Evers, Leiter der Hessischen Verwaltungsstelle Biosphärenreservat Rhön, dankte Prof. Dr. Hartmut Graßl für seinen engagierten und faktenreichen Vortrag, der den Bogen von wissenschaftlicher Erkenntnis zu politischer Notwendigkeit spannte. Evers verwies darauf, dass die Veranstaltung praktisch der „Startschuss“ für ein vom Bundesamt für Naturschutz gefördertes Klimaschutzprojekt in deutschen Biosphärenreservaten darstellte und kündigte eine Reihe von weiteren Aktivitäten an.