„Es ist ein spannender Weg geworden, ein Weg, auf den sich die Künstlerinnen und Künstler gerne eingelassen haben. Wir sind sehr glücklich, diesen Weg heute gemeinsam mit Ihnen zu eröffnen.“ Es war ein strahlendheißer Sommernachmittag, als Volker Schönhals und Thomas Vinson vom Kunstturm Mücke e.V. am vergangenen Samstag ein großes Publikum unter freiem Himmel zur Eröffnung der Ausstellung ErzArt4 am Kunstturm begrüßten. Fast alle der 13 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler waren anwesend, daneben viele Unterstützerinnen und Unterstützer. Aus deren Reihen hob Volker Schönhals ganz besonders Bürgermeister Andreas Sommer hervor, denn erstmals findet ein Teil der Ausstellung auf kommunalem Grund statt: Der von der Gemeinde frisch erworbene Bahnhof Mücke mit seiner alten Lagerhalle bildet den Abschluss des Weges – eine Premiere, aus der, wie alle Beteiligten hoffen, mehr werden könnte.
„Wir haben viel Landschaft und wenig Nahrung für den Geist“, stellte der Bürgermeister in seiner kurzen Ansprache fest und würdigte die Verdienste des Kunstturm Mücke e.V. Die hier Tätigen würden die Region mit dem raren Gut Kunst und Kultur versorgen, und dies sei in jeder Hinsicht fördernswert, so Sommer, der auf Nachfrage bekanntgab, dass eine dauerhafte Nutzung des Bahnhofs Mücke für Kunst und kulturelle Veranstaltungen seine volle Unterstützung in den kommunalen Gremien finde.
Dem Kunstturm Mücke schon lange verbunden ist der Gießener Kunsthistoriker Volker Bunte. Sowohl als Aussteller als auch als Redner hat er die vorhergehenden ErzArt-Ausstellungen begleitet. Auch in diesem Jahr führte er vor der Erwanderung des Weges in die verschiedenen Exponate ein und stellte in einem sehr gutaufgelegen, lebhaften Vortrag auch die Künstlerinnen und Künstler vor.
Viele der Arbeiten haben einen Bezug zur Region, zur Geschichte, besonders auch zur Geologie, führte Bunte aus, auch seien viele Werke eigens für diese Ausstellung und hier sogar für den genauen Ausstellungsort geschaffen worden. „Die Wirklichkeit der Kunst beginnt in den Augen des Betrachters“, zitierte der Redner den Künstler Keith Haring – auch mit Blick auf die abstrakten, nicht immer selbsterklärenden Bilder, Skulpturen und Installationen, die viel Interpretationsspielraum haben und sich nicht unbedingt jedem Betrachter direkt erschließen. „Die Auseinandersetzung mit Kunst erweitert den Geist“, so Bunte, bevor er auf die einzelnen Künstlerinnen und Künstler und deren Werke einging, „ErzArt bedeutet Menschen in Bewegung, aber es bedeutet auch Denken in Bewegung.“
Der Weg selbst führt von zwei Arbeiten am Kunstturm und vier weiteren ganz in der Nähe über drei künstlerische Positionen auf einer Wiese auf dem Weg nach Merlau sowie zwei Positionen am EDEKA-Markt bis hin zur Lagerhalle am Bahnhof Mücke, wo es die Werke von fünf Künstlerinnen und Künstler zu sehen gibt – teilweise kann man deren Werke auch schon am Anfang oder auf dem Weg entdecken.
Bunte startete seine Betrachtungen mit der Holzbildhauerin Ortrud Sturm. Deren Holzskulptur mit dem Titel „auf 2“ markiert scheinbar den Eintritt in das Waldstück hinter dem Turm. Den Stamm eines 40 Jahre alten Mammutbaumes hat sie „auf zwei“ Teile gemacht, wie Bunte erklärte. Verschiedene geometrische Formen und die Bearbeitung mit roter Farbe bilden eine Spannung, die bei genauerem Hinsehen ein Zusammengehörigkeitsgefühl sichtbar werden lässt. Eine weitere Arbeit dieser Künstlerin ist am Ende der Ausstellung in der Lagerhalle zu sehen.
Drei Künstlerinnen haben ihre Arbeiten am und im Kunstturm selbst platziert. Die Steinbildhauerin Regina Schnersch zeigt mit ihrer Basaltsteinskulptur „Side by Side“ gewissermaßen das Innere des Basalts, den sie im Basaltwerk in Ober-Ohmen gebrochen hat. Ihre Bearbeitung dieses Gesteins ermöglicht dem Betrachter eine neue Sicht darauf – es seien wunderbar bewegte, malerische Formen wahrzunehmen, so Bunte, der auf vier weitere Arbeiten Schnerschs im Bahnhof verwies.
Die Künstlerin Christine Wigge hat sich für ihre serielle Installation im Turm von einer Fotografie aus der Geschichte des Erzabbaus inspirieren lassen. Die Knopfleisten der Bergmanns-Ausgeh-Uniform hat sie aus dem Bild herausgelöst und isoliert an die Wand gebracht. Damit relativiert sie alle anderen raumfassenden Elemente der Fotografie, darunter auch ein Hakenkreuz. Gleichzeitig schafft sie Strukturen zum Weiterdenken, wie Bunte ausführte.
Wie gehauchter Atem, transluzent, durchscheinend, wirken die Farben, die Christine Dahrendorf auf die Glasscheiben des Kunstturms aufgebracht hat. Aufgetragen auf weißem Molkegrund sind drei hauchdünne Schichten wasserlöslicher Farben, deren Erscheinungsbild mit dem Licht wechselt und somit auch den Turm und die anderen Werke dort in verändertes Licht taucht.
Raum für Assoziationen geben die Objekte, die Monika Bodenmüller in einer Holzkiste auf der ersten Etappe des Weges ausstellt. Unterschiedlich in Farbe, Form und Oberfläche, regen sie den Betrachter zu Nachforschungen über ihren Ursprung an: Wer könnte sie wo gefunden haben? Und was sind sie eigentlich? Und in welchem Bezug stehen die Fund- oder Sammelstücke zu dem Erz, das hier früher gefunden und gesammelt wurde? Auch Bodenmüller zeigt eine weitere Installation in der Lagerhalle.
Auf dem Weg, als Teil der sie umgebenden Natur, findet sich die „Serpentinata“ des Künstlers Evangelos Papdopoulos. Intuitiv, mit den Gegebenheiten entstanden, bietet die Figur aus Holz und Baugipsplatten Anlass, der Fantasie freien Raum zu lassen. Sie kommuniziert mit ihrer Umgebung, und lädt ein, begangen und erlebt zu werden, wie Bunte anregte.
„Blühenden Landschaften“ – schon allein der Titel lässt Bilder vor dem inneren Auge entstehen. Die Malerin Sabine Hunecke schmückt die Mücker Landschaft mit Blüten der digitalen Vernetzung. Mit dem Bezug zu dem, was wir dafür der Erde heute entnehmen, Rohstoffe wie Silicium beispielsweise, schafft sie eine Verbindung zu dem, was einst hier entnommen wurde. Einen Verweis auf die Erzgewinnung liefert auch ein Rohr, das genau an diesem Ort als Zeuge früherer Aktivitäten aus der Erde ragt.
Ein Haus, das im Boden versinkt? Ein Katastrophenszenario oder doch eine Reminiszenz an das Erz, das aus diesem Boden kam? Auf jeden Fall ein deutlicher Hinweis auf die Natur, denn die Blumenwiese, auf der Friedemann Bader diesen Korpus mit dem Titel „das was war und das was kommt“ platziert hat, war einst ein Schlammteich, in dessen weicher Masse tatsächlich bereits Bäume und Gärten verschwunden sein sollen, wie Volker Bunte verriet.
Die „Kreuzkopffigur“ des Bildhauers Dierk Berthel scheint ein auf dem Weg verlorenes Werkzeug zu sein – vielleicht sogar aus dem Bergbau? Aus dem Kopfteil, in Kreuzform aus Stahlplatten verschweißt und brüniert, wachsen Holzleisten. Frei im Raum positioniert, wirft diese Figur Fragen auf.
„das uns der Himmel nicht auf den Kopf falle“ – Eine Reminiszenz an Alexander den Großen hat Peter Pelikan aus Holz aus hiesigen Wäldern geschaffen. Ein Türstock, gesägt, errichtet; eine Erinnerung an Bergwerkstollen, die es so in Mücke jedoch nicht gab, da hier Tagebau betrieben wurde. Dennoch: Das Tor könnte Schutzraum sein. Dazu gehört ein Mücke-Taler, den der Künstler in Anlehnung an eine Himmelsscheibe dem Holzkunstwerk zuordnet. Wenige solcher Münzen gibt es im Kunstturm zu sehen und zu erwerben.
Weiter führt der Weg in Richtung Ortsmitte. Auf der Wiese vor dem Supermarkt hat Jan Luke einen Rhythmus aus Dachlatten installiert – eine Erinnerung auch an ein Sägewerk, das an diesem Ort einst stand. Unter dem Titel „Impro V“ hat Luke sein Werk den örtlichen Gegebenheiten angepasst und ein scheinbar rotierendes, drehendes Konstrukt geschaffen; aus einem Alltagsmaterial, das für jeden zugänglich ist.
Drei Polaroid-Arbeiten des Fotografen Markus Elsner hängen an der Supermarkt-Fassade. Zwischenzeitlich aus der Mode, erfreut sich diese Art der Fotografie wieder neuer Beliebtheit. „Silence“ und „T’s wundersamer Blick auf die Welt der Farben“ hat Elsner seine Werke genannt, die alles sein können, und doch etwas Genaues sind. Die zehn Bilder der letztgenannten Reihe beschäftigen sich überdies mit der Welt eines Herrn Donald Trump und sind sowohl hinsichtlich des künstlerischen Ausdrucks als auch ihres Humors und ihrer Spitzfindigkeit eine Entdeckung wert.
Neben den bereits genannten Künstlerinnen und Künstlern, die ihre Werke auch in der Lagehalle ausstellen, sei zum Schluss Markus Stein genannt. Seine Arbeiten aus Tonerde zeigen unter dem Titel „Mount Improbable“ die „Gipfel des Unwahrscheinlichen“ „Geologische Poesie“ nannte das Volker Bunte in seiner Vorstellung und verwies auf den subtilen Umgang mit der Geologie unserer Erde.
„Da ist das Werk, und wo stehe ich, wo bin ich, wo gehöre ich hin“ – all diese Fragen könne man sich auf dem Weg stellen, lud Bunte dazu ein, sich in den Werken zu verlieren, seine Gefühle zu entdecken, zurückzuschauen und in die Zukunft zu blicken.
Die Gäste der Vernissage erlebten dies direkt im Anschluss. Weitere Interessierte haben an jedem Sonntag bis zum 9. September um 14 Uhr oder nach Vereinbarung (unter der Telefonnummer 0172 1365286) dazu Gelegenheit. Die Finissage mit Künstlergespräch und Katalogvorstellung findet am 15.9. um 14 Uhr statt.