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Smartphones am Arbeitsplatz – On oder Off?

Es ist Alltag in deutschen Büros: Ein Angestellter sitzt konzentriert an seiner Arbeit und versucht eine Lösung für ein Problem zu finden. Und tatsächlich – auf einmal läuft es: Der Mitarbeiter hat die zündende Idee. Eins fügt sich ums andere, ein Flow-Zustand ist erreicht, die Lösung ist zum Greifen nahe – doch dann blinkt und tönt es aus dem Smartphone. Eine Nachricht ist eingegangen und der kreative Prozess unterbrochen. “Wenn diese Ablenkung nur fünf Minuten beträgt, dauert es eine weitere viertel Stunde, bis der Flow-Prozess wieder erreicht ist”, sagt Patrick Durner von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen (HLS), “erst ab der 16. Minute steigt der Mitarbeiter wieder in produktives Arbeiten ein.”

Für Betriebe bedeutet dies nicht nur, dass wertvolle Arbeitszeit unproduktiv verstreicht. Die Kosten, die entstehen können, sind kaum abschätzbar. “Wenn Mitarbeiter durch Nachrichten abgelenkt werden und so möglicherweise unachtsam weiter agieren, können insbesondere beim Bedienen von Maschinen oder bei Transaktionen mit hohen Geldsummen gravierende menschliche oder materielle Schäden entstehen”, so Durner. Der Medienpädagoge leitet das virtuelle Selbsthilfeprojekt webcare (webC@RE). Webcare bietet Menschen eine niedrigschwellige Anlaufstelle, wenn sie glauben, dass sie sich zu viel mit ihrem Computer oder Smartphone
beschäftigen – vielleicht sogar süchtig sind.

Anzeichen wahrnehmen – Bewusstsein schaffen
Anzeichen für eine Smartphonesucht oder einen exzessiven Medienkonsum sind etwa, wenn Menschen ihr soziales Umfeld vernachlässigen und aggressiv reagieren, wenn man sie auf den übermäßigen Konsum anspricht. Das Projekt wird von der HLS betreut und von der Techniker Krankenkasse (TK) in Hessen unterstützt. Betroffene können sich hier, wenn gewünscht anonym, mit anderen Betroffenen austauschen. Sie erfahren u. a. welche Wege sie aus der Mediensucht führen können oder wie sie dem Verlangen danach entgegenwirken.

“Wir müssen alle lernen, die digitalen Medien bewusst einzusetzen, damit wir ihre Vorteile tatsächlich nutzen und nicht durch die Nachteile krank werden. Es ist zwar nicht jeder, der sein Smartphone intensiv nutzt, gleich davon abhängig”, sagt Dr. Barbara Voß, Leiterin der Landesvertretung der TK in Hessen, “die zunehmende Digitalisierung erfordert aber auch Medienkompetenz von ihren Nutzern. Das heißt dann ‘off’ oder ‘on’ zu sein, wenn es angemessen ist. Arbeitgeber könnten hier ansetzen und ihren Mitarbeitern im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung Angebote machen.”

In jedem Fall stellt die Digitalisierung der Arbeitswelt alle Beteiligten vor neue Herausforderungen. Mittlerweile können durch das mobile Internet neben der Kommunikation in sozialen Netzwerken auch überall bequem diverse Spiele mit dem Smartphone gespielt werden. Arbeitgeber müssen sich daher mit einem möglichen Suchtrisiko ihrer Angestellten auseinandersetzen und deshalb Regeln für die Mediennutzung entwickeln ­–­ auch zum Schutz für die Beschäftigten.

Smartphone kann wie Alkoholkonsum wirken
“Eine Studie hat ergeben, dass die Ablenkung durch das Smartphone beim Laufen oder auch Autofahren vergleichbar mit 0,8 Promille Alkohol ist”, sagt Durner. Wichtig sei es deshalb auch, die Arbeitsplatzgestaltung anzugehen. Denn wenn Menschen bei der Arbeit nicht gefordert würden, sei der Griff zum Smartphone nicht die Ursache des Problems, sondern die Konsequenz, findet der Medienpädagoge.

Dazu kommt, dass die Bandbreite der Medienangebote in den vergangenen Jahren stark gewachsen ist. Neuere Studien zu problematischem Mediennutzungsverhalten der Bevölkerung in Deutschland gibt es kaum. Die Zahlen der Studie “Prävalenz der Internetabhängigkeit – Diagnostik und Risikoprofile” (PINTA-Diari) beziehen sich auf einen Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2013: Die Autoren gehen davon aus, dass in der Altersgruppe der 14 bis 24-Jährigen 2,4 Prozent und im Alter von 14 bis 65 Jahren ein Prozent internetabhängig ist. “Anhand der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien in der Gesellschaft und der Geschwindigkeit, mit der sich die Entwicklung hier vollzieht, dürfte die Dunkelziffer jedoch weit höher liegen”, meint Voß.

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