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Der Seniorchef der Firma „Fuß + Schuh Breidbach“ erzählt aus seinem bewegten Leben: Fluchthelfer und selbst Flüchtling

Fotonachweis: Stadt Fulda

Fotonachweis: Stadt Fulda

Fulda (mb). Vielen Fuldaern ist Fredi Stumpf ein fester Begriff. Über viele Jahrzehnte führte der gelernte Orthopädie-Meister mit seinem unverkennbaren Berliner Akzent die Firma „Fuß + Schuh Breidbach“. Sein Leben liest sich wie eine spannende Abenteuergeschichte. Als Soldat zog er in den Zweiten Weltkrieg, kam in russische Gefangenschaft und glücklich wieder in die Heimat zurück. Als Meisterschüler erlebte er den dramatischen Aufstand der DDR-Bevölkerung vom 17. Juni 1953 in Halle mit und wurde unverhofft auf seiner Heimreise nach Berlin zum Lebensretter und Fluchthelfer für Swen Rödel, einen der Demonstranten. Wenige Jahre später floh Stumpf selbst aus der DDR und baute sich 1961 in Fulda ein neues Zuhause und Auskommen für seine Familie auf. Viel hat der Zeitzeuge zu erzählen.

Glücklich heimgekehrt

Wenn er heute in den Medien den Namen Mariupol hört, dann denkt Stumpf unweigerlich an seine Gefangenschaft zurück. Die Russen hatten ihn von Lettland 1.000 Kilometer quer durchs Land in die ukrainische Stadt verfrachtet. Nur ein Gedanke, so erinnert er sich, habe ihn damals umgetrieben: „Entweder sterben oder zurück nach Hause.“ Das Glück war mit ihm. „Es hat geklappt,“ sagt Fredi Stumpf. Er kehrte heim nach Berlin, wo der Vater eine Schuhmacherwerkstatt in Grünau, im Osten der Stadt, unterhielt. Doch die Enttäuschung folgte rasch. Stumpf durfte sich in der DDR nicht selbständig machen. Doch Not macht bekanntlich erfinderisch. Er arbeitete im väterlichen Betrieb und absolvierte „nebenbei“ eine Orthopädieausbildung. Das Berliner Geschäft florierte. Erst fuhr er Ware im Wäschekorb und mit Fahrrad aus, später im Motorrad mit Beiwagen und dann schließlich im eigenen Auto. Schriftsteller Stefan Heym gehörte unter anderem zu seinen Kunden.

Zukunft im Westen

Doch für Fredi Stumpf war absehbar, dass der unternehmerische Erfolg in der DDR nicht auf Dauer aufrecht zu erhalten wäre. „Schon in russischer Gefangenschaft bekamen wir mit, dass im Westen eine neue Zeit angebrochen war. Ich wusste immer, dass ich in den Westen gehen würde.“ Aber eines war für den jungen Mann von Anfang an auch klar: „Im Westen kann ich nicht lernen, sondern ich muss bereits perfekt sein.“ Gesagt, getan. Fredi Stumpf machte in Halle seinen Orthopädie-Meister.

Von sieben Prüflingen fielen fünf durch. Stumpf hingegen war erfolgreich. Dass ihn die DDR-Verantwortlichen in eine Genossenschaft hineindrängen wollten, mag vielleicht der letzte ausschlaggebende Punkt gewesen sein, sich Anfang der 60er Jahre zu entschließen, der DDR den Rücken zu kehren. Als Kunden in der Werkstatt waren, machte Fredi Stumpf sich eines Tages klammheimlich mit seinem P 70 auf und davon Richtung Westen. Bei Dorndorf kam er schließlich unter. Doch so gut es ihm dort auch gefiel: Fredi Stumpf wollte etwas Eigenes schaffen. Seinen Wunsch konnte er mit der Übernahme der Firma Breidbach in die Tat umsetzen. Bereut hat er seinen Entschluss bis heute nicht.

„Wir haben vielen Kunden helfen können“, unterstreicht der rüstige Pensionär. Einige Erfindungen stammen sogar aus seinem Haus, unter anderem eine Schiene als Gehhilfe. „So habe ich einem Kind mit spastischen Lähmungen wieder zum Laufen verholfen.“ Ein bisschen Stolz schwingt mit, wenn Stumpf an diesen Erfolg zurückdenkt und daran, dass Fulda (das Haus Breidbach) im Gegensatz beispielsweise zu Berlin und München gleich dreimal den in der Branche renommierten Preis für Orthopädie erhalten hat. Dankbar ist der gebürtige Altgliniecker seiner neuen Heimat Fulda verbunden. „Dieser Stadt verdanke ich alles, nach Berlin wäre ich nie zurückgekehrt.“

Fluchthelfer

Mit seiner „alten Heimat“ verbindet ihn noch eine besondere Geschichte, die von Swen Rödel. Auf der Heimfahrt von Halle mit dem Zug traf er den 18jährigen, der „gut angezogen war, aber sehr bleich und gehetzt wirkte.“

Der Grund: Er hatte an den Demonstrationen mitgewirkt, stand auf der Fahndungsliste und war nun auf der Flucht. Fredi Stumpf und seine Frau Ursel halfen dem Opfer des DDR-Unrechtsregimes. Sie verbargen Rödel 13 Tage auf dem Dachboden ihres Hauses (nebenan feierten die Genossen die Niederschlagung des Aufstandes), bevor sie ihm zur Flucht in den Westen durch ein „Loch“ in der Grenze auf dem Gelände einer Tischlerei verhalfen. In der Rückschau sagt Stumpf: Meine Frau und ich haben das alles gerne getan. Ich sage Ihnen, die Stunde gebiert den Helden und ich möchte diese Tage in meinem Leben nicht missen.“

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