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Politische Naivität macht junge Menschen anfällig für Manipulation – Jugendarbeit kann zur Aufklärung über geschichtliche Abläufe beitragen

Auf Initiative von Andreas Theilig trafen sich Jugendliche aus dem Regionalforum Fulda Südwest mit polnischen Jugendlichen. Foto: privat

Fulda. Die politische Bildung gehört nicht unbedingt zu den Kernaufgaben von Jugendbetreuer Andreas Theilig, der sich in den Mitgliedsgemeinden des Regionalforums Fulda Südwest um die offene Jugendarbeit kümmert. Der eher ungewöhnliche Lebensweg des 52-jährigen Sozialarbeiters bringt es aber mit sich, dass in seinem täglichen Umgang mit den Jugendlichen auch Themen angeschnitten werden, von denen man vermutet hätte, dass sie eher an anderer Stelle, wie beispielsweise im Unterricht, erörtert würden.

Der verheiratete Vater einer neunjährigen Tochter wurde im sächsischen Hoyerswerda geboren und lebt heute in Großenlüder. Er ist in der früheren DDR aufgewachsen, wo sich seine Hoffnung, Lehrer werden zu können, nicht realisieren ließ, weil die Eltern keine Parteimitglieder und zudem kirchlich engagiert waren. Aufgrund familiärer Prägung und seinen alltäglichen Erfahrungen mit dem staatlichen Unterdrückungs- und Überwachungsapparat habe er sich in innerer Opposition zum SED-Unrechtssystem befunden, betont der gelernte Elektromonteur im Rückblick. Kurz vor dem Mauerfall kam er im September 1989 unter teilweise dramatischen Umständen über Ungarn in den Westen. Jetzt war es für Andreas Theilig, der erste Erfahrungen in der Jugendarbeit mit der Organisation von betrieblichen Ferienlagern gesammelt hatte, möglich, seinen pädagogischen Berufswunsch zu verwirklichen.

Seit 1999 ist er beim Regionalforum Fulda Südwest beschäftigt und dort für die Jugendlichen in Bad Salzschlirf, Eichenzell, Flieden, Großenlüder, Kalbach und  Neuhof zuständig. (Die Gemeinde Hosenfeld prüft derzeit, ob sie sich ebenfalls beteiligen wird.) Andreas Theilig sieht den Jugendbetreuer nicht in Konkurrenz zur vereinsgebundenen Jugendarbeit, sondern als ergänzendes Angebot. Er verweist auf 28 Jugendräume in den sechs Gemeinden, die unter seiner Mithilfe geschaffen worden seien und von denen noch keiner wieder geschlossen werden musste. Nach eigenen Angaben habe er regelmäßig Kontakt zu 300 bis 350 Jugendlichen. Seine Tätigkeit mache ihm trotz mitunter ungünstiger Arbeitszeiten in den Abendstunden und am Wochenende weiterhin viel Freude. Man dürfe bei allem unvermeidlichen Ärger nicht vergessen, selbst einmal jung gewesen zu sein Andreas Theilig hat seine Jugendjahre in der DDR verbracht und dort Unfreiheit kennen gelernt.

Dies macht ihn besonders sensibel für Fragen, die das Zusammenleben im wiedervereinigten Deutschland betreffen. Dabei muss er feststellen, dass über zwanzig Jahre deutsche Einheit nur wenig an den gegenseitigen Klischees in West und Ost verändert hätten. Auf der einen Seite gebe es die „Ossis“, die angeblich immer nur jammerten. Auf der anderen Seite gelte für einige Bewohner in den neuen Bundesländern, dass sie sich als Leidtragende der Wiedervereinigung  inszenierten, obwohl sie altersbedingt die Zustände in der DDR  nicht mehr erlebt hätten. Gerade bei Jugendlichen herrsche auf beiden Seiten  große Unkenntnis über geschichtliche Abläufe und Zusammenhänge. So ließen sich durchaus Parallelen zwischen ideologisch sehr unterschiedlichen begründeten Diktaturen auf deutschem Boden ziehen.

Der ehemalige DDR-Bewohner ist immer wieder erschreckt über das Ausmaß an politischer Naivität. Dies mache vor allem junge Menschen anfällig für Manipulation. Von daher könne Jugendarbeit die gesellschaftliche Aufgabe zuwachsen, zur Aufklärung dort beizutragen, wo Schule und Elternhaus nicht mehr hinreichten. Vor dem Hintergrund seiner persönlichen Biografie will Andreas Theilig Interesse wecken und zur Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Vergangenheit anregen, „auch wenn dies nicht  in der Arbeitsplatzbeschreibung eines Jugendbetreuers steht“. Jugendbegegnungen wie die von ihm mit ins Leben gerufene zwischen Jugendlichen aus dem Regionalforum Fulda Südwest und polnischen Jugendlichen erscheinen hierfür besonders geeignet. Etwas Ähnliches kann er sich mit Jugendlichen aus seiner Geburtsstadt Hoyerswerda vorstellen.

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