Rasdorf. „Geh mal schnell und hol ein halbes Pfund Butter! Und bring auch noch zehn Eier mit!“ Wo würden Sie jetzt „schnell“ hingehen in Ihrem Dorf irgendwo im Landkreis Fulda? In der Stadt und den angrenzenden Großgemeinden fände sich sicher direkt in der Nähe ein Discounter, aber in den ländlichen Gemeinden?
Foto: Winfried Möller
In Rasdorf, der mit knapp 1.300 Einwohnern und rund 500 Haushalten kleinsten Gemeinden im Landkreis, muss niemand weit laufen. Neben Getränkemarkt, Wurst-, Fleisch- und Backwarenangeboten gibt es ihn wirklich noch den Tante-Emma-Laden“, der hier „Martinas Dorflädchen“ heißt. Das Dorflädchen liegt ganz zentral am Anger, dem größten Dorfplatz Hessens, der mit der Stiftskirche und der Gemeindeverwaltung den Ortsmittelpunkt bildet.
Junge Menschen können mit dem Begriff „Tante-Emma-Laden“ oder „Kolonialwarengeschäft“ nicht mehr viel anfangen. Für sie ist Martinas Dorflädchen „der Gutkauf“. Ältere Mitbürger hingegen erinnern sich noch an die Zeit, als es drei Tante-Emma-Läden in Rasdorf gab. Für sie ist auch noch der Begriff „Kolonialwaren“ präsent. Das waren überseeische Genuss- und Lebensmittel wie Tee, Kaffee, Kakao, Zucker, Gewürze, Reis und Tabak. Waren also, die aus den damaligen Kolonien kamen.
Als Gudrun Seidel Ende 2006 ihren Lebensmittelladen aufgab, fasste sich Martina Müller, die mit Tochter und Lebenspartner 1997 nach Rasdorf gezogen war, ein Herz und übernahm das Geschäft. „Bevor nichts mehr im Dorf ist, wo man einkaufen kann, habe ich gedacht, ich probiere es einfach mal. Mehr als schief gehen kann es ja nicht.“ Und so baute sie ihr Tante Emma Lädchen um und aus, wechselte den Lieferanten und wird heute als „Gutkauf“ von Edeka beliefert. In Martinas Dorflädchen ist alles zu finden, was ein Haushalt zum täglichen Leben benötigt.
Natürlich kann das Dorflädchen nicht mit den großen Handelsketten mithalten, aber die Preise liegen nur unwesentlich höher, wie ein Vergleich von Markenbutter zeigt, die nur fünf Cent teurer ist. Und manchmal gibt es auch Angebote. In dem kleinen Laden geht es menschlich und familiär zu. Man kennt sich und da wird auch mal zwischendurch ein Schwätzchen gehalten.
„Ich bin eine aufmerksame Zuhörerin, manchmal auch Seelentrösterin und 99 Prozent duzen mich“, beschreibt sich Martina Müller. Sie kennt die Eigenarten und wiederkehrenden Wünsche ihrer Kunden. Ältere oder kranke Mitbürger bestellen ihre Waren telefonisch und bekommen sie nach Hause geliefert. „Martina, kannst du mir mal zeigen wo“ ist ein oft gehörter Satz. Und dann muss man halt an der Kasse etwas warten. Niemand murrt, denn jeder weiß die Hilfsbereitschaft von Martina Müller und ihren Verkäuferinnen zu schätzen.
Auch die Kinder, die auf ihrem Weg zur Schule oder zur Bushaltestelle an Martinas Dorflädchen vorbeikommen, sind froh, dass es den Tante-Emma-Laden gibt. Da wird nicht nur höflich gegrüßt, sondern schnell noch ein Schulheft oder ein Tintenkiller gekauft- oder „Schnupp“, wie im Fuldaer Land Süßigkeiten unterschiedlichster Art bezeichnet werden.
Eine Sorge der 38-jährigen Jungunternehmerin ist, dass sie nicht nur von den älteren Menschen im Dorf leben kann. Das ist auch ein Appell an die Bewohner von Rasdorf, verstärkt in Martinas Dorflädchen einzukaufen. Ein weiterer Laden in einem der Nachbarorte könnte den Warenumsatz erhöhen und dadurch die Preise günstiger werden lassen, ist eine Idee von Martina Müller.
Dass sie über den Tellerrand hinausschaut, zeigt eine Aktion zum Beginn der Adventszeit. Sie beteiligte sich an einem Projekt zu Gunsten eines Kinderheimes in Kenia. Dort arbeitete die Rasdorferin Maren Herbert für ein Vierteljahr. Sowohl der scheidende Bürgermeister Berthold Körbel als auch sein Nachfolger Jürgen Hahn ließen es sich nicht nehmen, die Aktion durch ihren Besuch zu unterstützen. Denn eines ist sicher: Gäbe es „Martinas Dorflädchen“ nicht mehr, wäre Rasdorf um Einiges ärmer. (wim)