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Handwerk in Hessen: Beschäftigungswachstum und weniger Ausbildungsplätze

Die Entwicklung im Handwerk verläuft nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch innerhalb der einzelnen Gewerbegruppen unterschiedlich. In den Medien stehen sich Berichte über gefüllte Auftragsbücher und Beschäftigungsaufbau und Schilderungen eklatanter Personalengpässe und existenzbedrohendem Nachwuchsmangel gegenüber.

Wie sieht es in Hessen aus? Der jetzt vorliegende Bericht des IAB Hessen beleuchtet die Entwicklung des Arbeits- und Ausbildungsmarktes des Handwerks in den Jahren 2010 bis 2017.

Hessen im Bundesvergleich: Nur jeder 10. Erwerbstätige arbeitet im Handwerk
Während jeder achte Erwerbstätige in Deutschland 2016 im Handwerk beschäftigt war, trifft das in Hessen nur auf jeden zehnten zu – mit Abstand der niedrigste Anteil aller Flächenländer. In Hessen lag der Anteil des Handwerks auch bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit 9,8 Prozent niedriger als im Bundesgebiet (12,2 %). Bei den ausschließlich geringfügig Beschäftigten betrug der Anteil allerdings sowohl in Hessen als auch bundesweit fünfzehn Prozent. Der deutliche Unterschied zwischen sozialversicherungspflichtiger und geringfügiger Beschäftigung erklärt sich hauptsächlich durch die Gebäudereiniger: Nur jeder zehnte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, aber jeder dritte ausschließlich geringfügig Beschäftigte im Handwerk arbeitete in dieser Branche. Ermittelt man den Handwerks-Anteil für die geringfügig Beschäftigten ohne den Personenkreis der Gebäudereiniger, ergibt sich nur noch ein Anteil von 9,6 Prozent (Bund: 10,7 %).

Bundesweit nahm die Beschäftigung im Handwerk zwischen 2010 und 2016 mit 4,4 Prozent deutlich geringer zu als im Nicht-Handwerk (+10,8 Prozent). Hierbei zeigen sich erhebliche regionale Unterschiede. Während in Hessen beim Beschäftigungswachstum im Handwerk ein Spitzenwert von +10,0 Prozent erzielt wurde, lag es in Thüringen bei -4,6 Prozent.
Hessen ist außerdem das einzige Bundesland, in dem die Beschäftigung im Handwerk stärker wuchs als im Nicht-Handwerk, wenn auch nur um 0,1 Prozentpunkte. Betrachtet man lediglich die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, so zeigen sich in Hessen kaum Unterschiede zwischen der Entwicklung im Handwerk (+11,5 Prozent) und im Nicht-Handwerk (+11,8 Prozent).

Regionale Bedeutung: Anteil an Gesamtwirtschaft in Kammerbezirken Wiesbaden und Kassel bei 12 Prozent
Zum Vergleich der hessischen Regionen werden die drei Handwerkskammerbezirke in Hessen, die sich ähnlich wie die Regierungsbezirke abgrenzen, herangezogen.
Im größten Kammerbezirk Frankfurt-Rhein-Main ist die Bedeutung des Handwerks mit einem Anteil von 7,8 Prozent an der Gesamtwirtschaft am geringsten. Dies ist aufgrund des Einflusses des Großraums Frankfurt und seiner entsprechenden Branchenstruktur nachvollziehbar. Großstädte sind generell multifunktionale Wirtschaftsstandorte, deren wirtschaftliche Aktivitäten stärker auf Dienstleistungen, Unternehmenszentralen und Verwaltung ausgerichtet sind.
Überdurchschnittliche Anteile des Handwerks an der Gesamtwirtschaft weisen dagegen die beiden anderen Kammerbezirke auf, die sich mit 11,8 Prozent (Kassel) und 12,0 Prozent (Wiesbaden) nur geringfügig unterscheiden. Erwartungsgemäß ist auch dort in den beiden kreisfreien Städten Kassel und Wiesbaden das Handwerk durch den „Großstadteinfluss“ nur unterdurchschnittlich vertreten.

Beschäftigung: Höchster Anstieg im Handwerk für den gewerblichen Bedarf
Die größten Beschäftigungszunahmen innerhalb des Handwerks im Zeitraum 2010 bis 2016 verzeichneten in Hessen die stark wachsenden Handwerke für den gewerblichen Bedarf (+27,3 Prozent). Darunter fallen z.B. Gebäudereiniger, Feinwerkmechaniker, Metallbauer oder Informationstechniker. Ebenfalls überdurchschnittlich stieg die Beschäftigung im Gesundheitsgewerbe (+13,3 Prozent) wie bei Zahntechnikern, Augenoptikern oder Orthopädietechnikern an. Im Ausbaugewerbe (+13,0 Prozent) und im Bauhauptgewerbe (+12,4 Prozent) kam es auch zu einem Anstieg. Leichte Rückgänge mussten das Lebensmittelgewerbe (-3,4 Prozent) und die Handwerke für den privaten Bereich (-2,9 Prozent) hinnehmen. Darunter findet man u.a. Friseure, Steinmetze und Steinbildhauer, Schornsteinfeger sowie alle Instrumentenbauer.

Jeder zweite Beschäftigte im hessischen Handwerk arbeitet im Handwerk für den gewerblichen Bedarf oder dem Ausbaugewerbe. Das Gesundheitsgewerbe hat trotz überdurchschnittlicher Dynamik als kleinste Gewerbegruppe nur einen verhaltenen Einfluss auf die Gesamtentwicklung nehmen können. Das Bauhauptgewerbe als drittgrößte Gewerbegruppe konnte auch den drittgrößten Beitrag zum Beschäftigungswachstum beisteuern.

In Hessen bilden die Gebäudereiniger den am stärksten besetzten Gewerbezweig. Hier ist jeder siebente Handwerksbeschäftigte tätig. Dahinter folgen die Kraftfahrzeugtechniker, die Elektrotechniker sowie die Maurer und Betonbauer. Die sieben beschäftigungsstärksten Gewerbezweige machen mehr als 60 Prozent aller im Handwerk Beschäftigten aus.

In allen Gewerbezweigen des zulassungspflichtigen Handwerks, das 80 Prozent aller Handwerksbeschäftigten repräsentiert, nahm die Beschäftigtenzahl um 6,4 Prozent zu. Im zulassungsfreien Handwerk stieg die Beschäftigtenzahl sogar um 36,9 Prozent.
Den mit Abstand höchsten Beitrag zum Gesamtbeschäftigungswachstum im Handwerk leisteten mit 50 Prozent Unternehmen aus dem zulassungsfreien Handwerk der Gebäudereiniger. Außerdem konnten die Maurer und Betonbauer mit 15 Prozent sowie die Elektrotechniker mit 13 Prozent am stärksten das Beschäftigungswachstum unterstützen.

Ausbildung: Zahl der Auszubildenden im Handwerk nimmt weiter ab
Das Handwerk erbringt eine außerordentlich hohe Ausbildungsleistung. Mehr als jeder vierte betriebliche Auszubildende in Deutschland wurde 2017 im Handwerk ausgebildet. Damit ist der Ausbildungsbeitrag des Handwerks mehr als doppelt so hoch wie sein Anteil an allen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Den Löwenanteil an der Ausbildung tragen die zulassungspflichtigen Handwerke.

Allerdings waren die Rückgänge an Auszubildenden in den meisten Bundesländern in Handwerk größer als im Nicht-Handwerk. Das gilt auch für Hessen: Hier verringerte sich die Auszubildendenzahl im Handwerk zwischen 2010 und 2017 um 13,5 Prozent. Entsprechend ist auch die Zahl aller Auszubildenden (Handwerk und Nicht-Handwerk) zwischen 2010 und 2017 stark gesunken. Während dieser Rückgang bundesweit 12,2 Prozent betrug, lag er in Hessen bei 11,3 Prozent. Damit ging hessenweit fast jeder dritte verlorene Ausbildungsplatz (32,3 Prozent) auf das Konto des Handwerks.

Ausbildung 2019: Mehr gemeldete Stellen bei den Agenturen für Arbeit
Seit dem Ausbildungsjahr 2016/207 ist die Zahl der bei den Agenturen für Arbeit gemeldeten Stellen aus dem Handwerk gestiegen. Von 10.076 auf 10.269 im Ausbildungsjahr 2017/2018. Im August 2019 wurden bereits 10.292 Lehrstellen im Handwerk registriert. 2.754 waren im letzten Monat zum Stichtag noch unbesetzt.

„Das Handwerk leidet ebenfalls darunter, dass immer weniger Schulabgänger eine duale Ausbildung wählen. Sie gehen lieber weiter zur Schule oder nehmen ein Studium auf. Der Imageverlust ist groß und hat bereits in den Elternhäusern eingesetzt. Der sprichwörtliche goldene Boden des Handwerks ist für viele nicht mehr erstrebenswert. Auch die Möglichkeiten, als Meister einen eigenen Betrieb zu eröffnen oder ein Hochschulstudium zu beginnen, reichen augenscheinlich nicht aus, um die eigene berufliche Zukunft im Handwerk zu suchen“, stellt Dr. Frank Martin, Leiter der Regionaldirektion Hessen, fest.

Hintergrundinformationen
Das Handwerk wird über berufliche Tätigkeiten nach der Handwerksordnung abgegrenzt.
Datenbasis sind die Handwerkszählung (Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und des Hessischen Statistischen Landesamtes), die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit sowie das Datensystem Auszubildende vom Bundesinstitut für Berufsbildung.

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