Hilders. Ronald Ludwig erinnert sich noch genau an den Moment, in dem er die Diagnose seines Sohnes Marlon bekam. „Dir wird der Boden unter den Füßen weggerissen. Du fällst in ein Loch und siehst dich schon an seinem Grab stehen“, sagt der Familienvater aus Hilders über den Tag vor fünf Jahren im Klinikum Kassel. Marlon hat Muskelschwund. Heute ist er acht Jahre alt und auf den Rollstuhl angewiesen. Auch wenn er nicht versteht, warum die Krankheit ihn getroffen hat, lernt er, mit ihr zu leben. Um ihm das noch besser zu ermöglichen, haben seine Eltern im TSV Hilders jetzt die erste Rollstuhlsportgruppe im Landkreis Fulda gegründet. Sie suchen noch Mitglieder.
Muskelschwund ist eine Nervenkrankheit. Bei Marlons Variante, Muskeldystrophie Duchenne, bleibt den Betroffenen eine unterschiedlich lange Zeit bis zur weitgehenden Bewegungsunfähigkeit, Knochen und Gelenke verformen sich. Marlon hatte nur wenige Jahre. Dr. Stephan Seeßle aus Offenbach, Landessportarzt Breiten- und Leistungssport im HBRS, sagt: „Die Ursache für den Ausbruch der Krankheit ist unklar. Zwar gehen wir Mediziner von einem genetischen Defekt aus, es können aber auch verkannte Impfschäden oder sonstige Umwelteinflüsse sein. In sehr wenigen Fällen sind Spontanheilungen beschrieben, allerdings äußerst selten.“
Nach dem Diagnoseschock brauchten der Vater und Mutter Simone eine Weile, um sich auf die neue Situation einzustellen. Ihren ersten Sohn, das merkten sie schnell, macht nichts glücklicher als der Sport mit seinen Freunden. Bis vor wenigen Monaten spielte er Fußball in seinem Heimatort, seit der neuen Saison ist das unmöglich. „Marlon hat sich immer ins Tor gestellt. Sein Traum von einem eigenen Treffer wird sich aber nie erfüllen“, sagt der Vater. „Wir wollten ihm die Möglichkeit geben, trotzdem Sport zu machen. Doch die nächsten Angebote sind viel zu weit weg. Also mussten wir das selbst in die Hand nehmen.“
Anfang des Jahres gründeten seine Eltern die Abteilung Reha- und Behindertensport im TSV Hilders. Seitdem trifft sich eine wachsende Zahl von Rollstuhlsportlern jeden Montag um 17:30 Uhr in der Sporthalle der Mittelpunktschule, derzeit sind sie zu Fünfzehnt. Eine feste Sportart gibt es nicht. Unter wissenschaftlicher Betreuung der Hochschule Fulda und Mitarbeitern des Hochschulsports werden Marlon und seine Freunde jeden Alters bei Sportspielen, Kräftigungseinheiten sowie Konditions- und Koordinationsübungen gefördert. Die Diplom-Sportwissenschaftlerin Maria Eife betreut die Gruppe. Von ihr bekommt jeder Teilnehmer nach dem ersten Besuch einen individuellen Trainingsplan zur Verbesserung der Alltagskompetenz. „Behindertensportler profitieren extrem von einer individuellen Förderung“, sagt sie. „So einzigartig wie der Mensch und sein Krankheitsbild sollte auch die Sporttherapie sein. Marlons Muskulatur reagiert nicht auf Reize zum Muskelwachstum. Dafür fängt er beispielsweiße Reissäckchen mit Hütchen und verbessert so seine koordinativen Fähigkeiten. Außerdem ist der soziale Aspekt wichtig. Hier entstehen lange währende Freundschaften zwischen allen Sportlern.“
HBRS-Präsident Gerhard Knapp freut sich über die neue Sportgruppe. Sie schließt eine Lücke im weitgehend flächendeckenden Behindertensportangebot des Verbandes: „Marlons Schicksal steht stellvertretend für das Schicksal Vieler in Hessen. Sport kann das Leben von Menschen mit einer Behinderung auf fantastische Weise bereichern. Gerade für körperbehinderte Menschen sind Sportangebote in Ortsnähe wichtig, die Logistik stellt für sie eine große Herausforderung dar. Jeder Verein der eine Behindertensportabteilung gründet wird von unserem Verband individuell beraten, seine Übungsleiter werden durch uns finanziell unterstützt.“ Durch die Hilfe des HBRS und weiterer Förderer konnten sich die Rollstuhlsportler aus Hilders mittlerweile ein kleines Inventar an Sportgeräten zulegen. Auch Privatpersonen rührt die Geschichte des Jungen. Vergangene Woche
ließ das Hotel am Kurpark aus Bad Herrenalb im Schwarzwald dem Schüler einen Gutschein über sieben Übernachtungen samt Halbpension zukommen.
Damit die Rollstuhlsportgruppe weiter wachsen kann, werden Teilnehmer und Unterstützer gesucht. Interessierte können sich bei bei Familie Ludwig unter der Telefonnummer: 0 66 81 / 25 24 14 oder per E-Mail an: r.ludwig@freenet.de melden.