Künzell-Dassen. Es könnte ein Forsthaus sein: Am Waldrand bei Dassen nahe Loheland glänzt ein bauhistorisches Schmuckstück besonderen Ursprungs, das seine eigene spannende Geschichte hat. Ein Freiherr baute sich hier sein Refugium. Er entstammt der berühmten westfälischen Adelsfamilie von Bodelschwingh und war ein direkter Verwandter des Pastors gleichen Namens und Begründer der Bethelschen Stiftungen.
Zwischen Pilgerzell und Lütter verläuft ein Teil der alten Handelsstraße „Ansavia“ von Frankfurt nach Leipzig südwestlich vom sogenannten Hof „Steinhauck“. Radelt oder spaziert man diesen Waldweg in Richtung Autobahn oder Pilgerzell, so taucht links hinter einer Waldlichtung unerwartet ein charmantes Gebäude auf: Einstöckig mit Walmdach, ein wenig Fachwerk am Giebel und eine kleine Halbrund-Veranda im Parterre, einige grüne Fensterläden. Ein Bauernhof mit Stallungen schließt sich in Richtung Westen an. Der Flecken ist historisch. Schon zu Anfang des 17. Jahrhunderts ist der dortige Hof als Lehen des Klosters Neuenberg genannt.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwarb dann ein Freiherr von Bodelschwingh den Hof und baute das Anwesen aus. Es entstand das heutige Haus oberhalb der Hofgebäude mit rund einem Dutzend Zimmer. Mündliche Überlieferungen in Dassen schreiben den Bau einem Bruder des Bodelschwingh aus Bethel zu. Dieser wäre allerdings hochbetagt gewesen, wenn er 1911 erst mit dem Bau der Villa begonnen hätte. Ein weiterer Hinweis findet sich in schriftlichen Notizen, die sich im Besitz des Dassener Ortsvorstehers Helmut Vogler befinden. Dort gibt es den Hinweis, dass der Freiherr und Steinhauck-Erbauer von Bodelschwingh Abgeordneter im Deutschen Reichstag zur Kaiserzeit gewesen sei. Doch auch mit diesem Tipp lässt sich die Personalie des Gesuchten nicht eindeutig identifizieren, gab es doch mehrere von Bodelschwinghs, die ein solches Mandat innehatten.
Auch die jetzigen Besitzer glaubten lange, in Carl von Bodelschwingh, Oberst, Kammerherr und Zeremonienmeister am Kaiserhof in Potsdam, den Erbauer von „Steinhauck“ zu kennen. Auch dies erwies sich als eine falsche Fährte. Erst weitere Recherchen brachten Klarheit: Nicht aus dem Westfälischen stammte der Gesuchte, sondern aus dem relativ nahen Rotenburg ob der Fulda: Franz Freiherr von Bodelschwingh hieß der Erbauer – Neffe des Gründers der Bethelschen Anstalten und berühmten evangelischen Pastors gleichen Namens aus Westfalen, doch aus einem anderen Familienzweig stammend.
Freiherr von Bodelschwingh war Besitzer des Rittergutes Schwarzenhasel bei Rotenburg und tatsächlich Reichstagsabgeordneter. Er soll sein Forsthaus „Steinhauck“ zum Ort der Erholung erbaut und dort nahezu wie ein Einsiedler gelebt haben. Der Baron zog oftmals völlig allein durch seinen Waldbesitz bei Dassen. Traf er zufällig auf Menschen, waren diese von dessen Erscheinung beeindruckt, wie in einer Quelle angedeutet wird: “… als sie einem großen älteren Herrn begegneten. Sie konnten sich nicht denken, wie diese schöne, vornehme Gestalt in den dichten Wald kam. Aber bald haben sie erfahren, dass das nahe gelegene Gut ‘Steinhauck‘ sein Eigentum war.“ (aus: Drei Frauen – drei Geschichten… Herta Dettmar-Kohl, Imme Heiner und Elisabeth Hertling erzählen, Loheland Stiftung Hrsg.)
Die neue Siedlung Loheland, ihre Bewohner – ausschließlich Frauen – und vor allem das von dieser Siedlung ausgehende Gedankengut müssen dem Freiherrn derart befremdlich vorgekommen sein, dass er sich zur Aufgabe von“ Steinhauck“ entschloss. Tatsächlich tauschte er das Anwesen gegen einen Landbesitz im Westfälischen. In den Jahren danach wurde der Besitz nicht sonderlich erfolgreich bewirtschaftet, es häuften sich Schulden des Neu-Besitzers und großer Waldbesitz fiel an den Staat. Das eigentliche Forsthaus wurde in dieser Zeit nicht bewohnt. 1937 übernahm Dr. Theophil Hackethal aus Trier den Besitz. Die Familie – direkt verwandt mit dem berühmten Krebsspezialisten – nutzt „Steinhauck“ noch heute, allerdings ohne Landwirtschaft zu betreiben. Vor drei Jahren begonnen, wurde jetzt die umfangreiche Innen- und Außen-Renovierung des unter Denkmalschutz stehenden Forsthauses beendet. (Text und Foto: Bickert)