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Fachtagung „Ohne Sonntag fehlt Dir was“

Hofheim/Fulda. Mit einer Fachtagung zum Thema „Ohne Sonntag fehlt Dir was“ machten in Hofheim am Taunus Verbände, Gewerkschaften und Kirchen auf den Wert des Sonntags aufmerksam. Zum offiziellen Startpunkt für die „Hessische Allianz für den freien Sonntag“ referierten Prof. Dr. Franz Segbers zum Thema „Wem gehört die Zeit? – Den Zeiträubern eine Grenze setzen“ wie auch Prof. Dr. Friedhelm Nachreiner zum Thema „Sonntagsarbeit als Risikofaktor für Sicherheit, Gesundheit und Privatleben“. Bei Interviews von Praktikern aus Betrieben, Gewerkschaften und kirchlichen Verbänden wurden den etwa 100 Teilnehmern der Fachtagung Erfahrungen aus der Praxis vor Augen geführt. Der Remscheider sozialkritische Kabarettist und Liedermacher Donatus Weinert umrahmte das Programm mit heiteren und besinnlichen Beiträgen.

Professor Franz Segbers, Sozialethiker an der Universität Marburg, ging in seinem Vortrag der Frage nach „Wem gehört die Zeit?“. Nachdem der Samstag als arbeitsfreier Tag verloren sei, erlebten wir jetzt den Angriff auf den Sonntag. Wer den Sonntagsschutz aushöhle, wolle auch den Sozialstaat abschaffen, so Professor Segbers. Er forderte Kirchen und Gewerkschaften auf, nicht nur Abwehrkämpfe zu führen und den Sonntag zu verteidigen, sondern gemeinsam eine „Kultur des Zeitwohlstands“ zu entwickeln. Die entscheidende Frage sei, wer bestimme über die Lebenszeit von Menschen. Segbers appellierte an die Allianz für den freien Sonntag, offensiv Alternativen für ein Zusammenleben in der Gesellschaft zu formulieren, bei dem es „um mehr gehe als um bloßen Konsum“. Dazu, so Segbers These, müsse die Vorherrschaft über die Zeit zurückerobert werden.

Der Leiter der Gesellschaft für Arbeits-, Wirtschafts- und Organisationspsychologische Forschung eV., Prof. Dr. Friedhelm Nachreiner, Oldenburg, belegte anhand von fundiertem Zahlenmaterial beeindruckend, wie sich Sonntagsarbeit im Bereich von Arbeitssicherheit und Gesundheit auswirkt. Bei „Sonntagsarbeitern“ sei eine wesentlich höhere Unfallhäufigkeit am Arbeitsplatz festzustellen wie auch deutlich mehr Krankheitstage gegenüber Arbeitnehmern, die im Fünf-Tage-Wochen-Rhythmus beschäftigt sind. Auch die Auswirkungen auf das Familienleben seien nicht wegzudiskutieren. Mehrere Untersuchungen hätten ergeben, das bei von Sonntagsarbeit betroffenen Familien die Scheidungsrate deutlich höher liege.

Negative Auswirkungen, nicht nur im Zuge der Sonntagsarbeit, sondern schon bei den erweiterten Ladenöffnungszeiten beschrieb Bernhard Schiederig, Fachbereichsleiter Einzelhandel bei Verdi Hessen. Die Gewerkschaft registriere erhebliche Verstöße gegen den Arbeitnehmerschutz in Hessen: Höchstarbeitszeiten würden überschritten, Ruhezeiten zwischen Schichten nicht eingehalten, und es gebe praktisch keinen Ruhetag mehr, beklagte er. Die erweiterten Öffnungszeiten werktags und Sonntagsöffnungen blieben zudem ohne realen Nutzen. Die Hoffnungen auf höhere Umsätze oder mehr Beschäftigung hätten sich nicht erfüllt. Während die Umsatzzahlen etwa gleich geblieben seien, registriere die Gewerkschaft unter den 250 000 Beschäftigten im Einzelhandel einen eklatanten Rückgang der voll Sozialversicherungspflichtigen. Jeder dritte Arbeitnehmer werde nur noch auf der Basis eines Minijobs beschäftigt.

Die hessische Allianz für den freien Sonntag beruft sich auf den in der Verfassung garantierten Schutz des Sonntags. Auf diesem Hintergrund wird sie alle Möglichkeiten nutzen, Einfluss auf die hessische Politik zu nehmen. Das derzeitige hessische Ladenöffnungsgesetz ist befristet bis zum 31. Dezember 2011. Somit steht im Jahr 2011 eine Novellierung an, die nach Meinung der Allianz einen stärkeren Schutz des Sonntags gewähren muss. „Wir werden nicht nur alle demokratischen Gegebenheiten nutzen, sondern auch alle rechtlichen Möglichkeiten, gegebenenfalls auch den Gang zum Verfassungsgericht“ äußerte sich der Fuldaer KAB Diözesansekretär Michael Schmitt. Mittelfristig sei es Ziel, eine bundeseinheitliche Regelung zum Schutz des Sonntags wieder herzustellen.

Getragen wird die Allianz von verschiedenen Gewerkschaften, Verbänden und Einrichtungen der großen christlichen Kirchen. Die hessischen Bischöfe der katholischen und evangelischen Kirche hatten der Allianz in ihren Grußworten zur Fachtagung ihre vollste Unterstützung zugesagt. (Text: Michael Schmitt)

Hintergrundinformationen:


Gründungsmitglieder sind:

– Arbeitsstelle für Arbeitnehmer- und Betriebsseelsorge Frankfurt-Höchst
– Bonifatius-Werk der Deutschen Katholiken
– Caritas, Diözesanverband Limburg
– Christliche Arbeiterjugend (CAJ), Diözesanverband Limburg
– Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), vertreten durch das Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung, Mainz
– Evangelische Kirche von Kurhessen und Waldeck (EKKW), vertreten durch das Referat Wirtschaft-Arbeit-Soziales
– GdP Gewerkschaft der Polizei, Landesbezirk Hessen
– KAB-Diözesanverband Fulda
– KAB-Diözesanverband Limburg
– KAB-Diözesanverband Mainz
– Katholikenrat im Bistum Mainz
– Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, Diözesanverband Limburg
– Kirche für Arbeit, Sachausschuss“ Berufs- und Arbeitswelt“, Kath. Dekanat Darmstadt
– Kolping Landesverband Hessen
– Pax Christi Limburg, Diözesanverband Limburg
– Referat Berufs- und Arbeitswelt im Bistum Mainz
– ver.di Landesbezirk Hessen

Zentraler Inhalt der Gründungserklärung:
„Der Sonntag ist kein Tag wie jeder andere. Seine Bedeutung drückt sich in seiner Beständigkeit für die individuelle Lebensgestaltung der Menschen aus. Seit 4.000 Jahren prägt die Sieben-Tage-Woche den Lebensrhythmus vieler Völker. Dieser Rhythmus vermittelt den Menschen und den Gemeinschaften eine hilfreiche Beständigkeit. Der Sonntag ist eine frühe soziale Errungenschaft und auch heute als Tag der Ruhe, der Gemeinschaft, der Befreiung von Sachzwängen, Fremdbestimmung und Zeitdruck unverzichtbar.“

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