Fulda. Unsere polnischen Nachbarn haben eine bedeutende Orgeltradition, sowohl hinsichtlich der Komposition als auch vor allem mit herausragenden Organistinnen und Organisten. Eine junge Vertreterin der polnischen Schule, Anna Pikulska, wird am 30. Oktober, 12.05 Uhr, in der Matinee mit Werken deutscher und französischer Komponisten, unter anderem dem hochvirtuosen Final aus der 2. Symphonie von Louis Vierne zu hören sein. Der Kostenbeitrag für die Orgelmatineen beträgt 3,50 € (ermäßigt 2,50 €).
Anna Pikulska, geboren 1985 in Oppeln, Polen; 2009 Magisterdiplom mit Auszeichnung der Musikakademie Kattowitz bei Prof. Julian Gembalski. Seit WS 2009/10 im Aufbaustudium Konzertexamen bei Prof. Gerhard Gnann an der Hochschule für Musik Mainz. Preisträgerin mehrerer Wettbewerbe: Wettbewerb der Polnischen Orgelmusik des 20. Jahrhunderts in Liegnitz 1999, Internationaler Orgelwettbewerb in Brno (Tschechien) 2007, Orgelwettbewerb Romuald SroczyÅ„ski in Memorian in Posen 2008, 7. Internationaler Orgelwettbewerb von J. P. Sweelinck in Danzig 2009 (Sonderpreis für die beste Ausführung des Werkes von J. P. Sweelinck). Zahlreiche Masterkurse für Orgel und Cembalo u. a. bei Christoph Bossert, Pieter van Dijk, Lorenzo Ghielmi, Leszek KÄ™dracki, Tomasz Adam Nowak, Jean-Luc Perrot, Gunther Rost, Marek Toporowski. Dreimalige Stipendiatin des Kultusministers von Polen (2000, 2002, 2009), des Stipendiums der Stiftung für junge Talente von Jolanta und Aleksander KwaÅ›niewski (2000), und des Ministerpräsidenten von Polen (2002).
Das triumphale Finale der 2. Symphonie entwickelt den für die Akkustik von Notre Dame spezifischen gotischen Kathedralenklang in der Brutalität thematischerAkkordschläge à la Widor. Das konstruktive Element überwiegt in diesem frühen Werk noch das Kolorit. Claude Debussy schrieb nach der Uraufführung in der Zeitschrift „Gil Blas“: „Die Symphonie von Herrn Vierne zählt zu den bemerkenswertesten; höchste Musikalität vereint sich hier mit genialer Erfindungskraft, was die der Orgel eigenen Klangfarben betrifft. Der alte J.S. Bach, unser aller Vater, wäre mit Herrn Vierne zufrieden gewesen“.
Orgelmatinee: Samstag, 30. Oktober 2010 um 12.05 Uhr
Programm:
- Johann Sebastian Bach (1685 – 1750)
Präludium und Fuge G-Dur BWV 541
Choralbearbeitung „Erbarm dich mein, o Herre Gott“ BWV 721 - Eugène Gigout (1844 – 1925)
Scherzo E-Dur - César Franck (1822 – 1890)
Prélude aus: Prélude, Fugue et Variation op. 18 - Louis Vierne (1870 – 1937)
Final aus: 2. Symphonie e-Moll op. 20
An der Domorgel: Anna Pikulska, Kattowitz, Polen
Zu den Werken:
Johann Sebastian Bach Präludium und Fuge G-Dur BWV 541
Das erhaltene Autograph, das Bach vielleicht für Wilhelm Friedemanns Probespiel an der Dresdner Sophienkirche im Jahre 1733 anfertigte, täuscht über die wahrscheinlich weit zurückreichende Entstehungsgeschichte der Komposition hinweg. Faktur und Form verweisen auf die Weimarer Zeit, in der Bach sich unter anderem durch Transkriptionen mit Vivaldi und der italienischen Konzertform schöpferisch auseinander setzte. Trotz des nach außen hin repräsentativen Charakters ist die Anlage des Präludiums als durchaus experimentell zu bezeichnen. So kombiniert Bach das eröffnende norddeutsche Passagenwerk mit den harmonischen Stationen und der weiträumigen, homophon geprägten Gestik eines Konzertsatzes. Auch der für die Fuge konstitutive Wechsel zwischen den Durchführungen des Themas und den frei fortgesponnenen Zwischenspielen nimmt in diesem Werk konzertante Merkmale auf. Dies betrifft zum einen die Imitation des Themenkopfes und mehr noch die motivisch vom Subjekt vollkommen losgelöste Passage, deren freie Figurationen einer veritablen „Episode“ entstammen könnten. Die an das einem norddeutschen Modell nachempfundene Thema gebundenen Abschnitte ließen sich demgegenüber als „Ritornell“ bezeichnen.
J. S. Bach Choralbearbeitung „Erbarm dich mein, o Herre Gott“ BWV 721
Erbarm dich mein, o Herre Gott,
nach deiner großen Barmherzigkeit,
wasch ab, mach rein mein Missetat.
Ich erkenn mein Sünd und ist mir leid,
allein ich dir gesündiget hab;
das ist wider mich stetiglich,
das Best vor dir mag nicht bestahn,
du bleibst gerecht, ob du urteilest mich.
Eugène Gigout Scherzo E-Dur
Das klangsinnliche achte Stück der „Dix Pièces“ eignet sich in seiner formvollendeten Noblesse als entspannendes und humorvolles Moment im Konzertprogramm. Das Thema des A-Teils besteht aus einer schwungvoll aufsteigenden, aus einfachen Dreiklangsbrechungen bestehenden Melodien. Das Thema entwickelt sich in Dialogform durch das Ausspielen der Gegensätze von piano- und forte-Registrierung, Dur- und Mollversion, Sopran- und Tenordurchführung sowie Aufund Abwärtsbewegung seiner Melodieteile, die phrasenbildend von gleichmäßigen Bassbewegungen zusammengehalten werden. Im B-Teil entsteht ein akkordisch vierstimmiger Dialog, der neben den bereits erwähnten Mitteln noch gegensätzliche Artikulation ins Spiel bringt. Das dialogartige, manchmal blitzartige Wechselspiel der Manuale wird durch Verkürzung der Thementeile intensiviert, bis ein dominantischer Halbschluss die Reprise herbeiführt.
César Franck Prélude aus: Prélude, Fugue et Variation op. 18
„Ich war fassungslos und geriet in eine Art Ekstase“ Louis Vierne über seine prägende Erfahrung in jungen Jahren, als er zum ersten Mal César Franck an der Orgel hörte. Das Triptychon besticht den Hörer durch seine Schlichtheit und seinen ungehemmten, natürlichen Fluss. Der mit der Spielanweisung „Andantino, Cantabile“ überschriebene erste Satz in h-Moll besteht aus einer wiegenliedhaften kreisenden Melodie im 9/8-Takt und den ihr angepassten Begleitfiguren. Auf die dreimal erklingende fünftaktige Phrase folgt ein zweites Thema, das in der rhythmischen Folge Achtel-Viertel sämtliche Intervalle von der Sekunde bis zur Oktave durchschreitet. Nach dreimaliger Entwicklung der auf dem Schwellwerk expressiv gespielten Phrase erfolgt nach einer letzten Wiederholung des Themas eine kurze Reprise des ersten Themas, die in fis- Moll endet.
Louis Vierne Final aus: 2. Symphonie in e-Moll op. 20
Louis Vierne und das „berauschende Gefühl der Macht“ Als Schüler von César Franck führte Vierne die französische Orgeltradition ins 20. Jahrhundert – und dies über 37 Jahre als Titularorganist an der Cavaillé-Coll-Orgel von Notre Dame de Paris. Sechs Sinfonien für Orgel komponierte er in dieser Zeit. Die erste dieser Orgelsinfonien datiert aus dem Jahr 1899 – Vierne war gerade 29 Jahre alt.
Weitere Informationen zu den Orgelkonzerten im Fuldaer Dom finden Sie unter www.orgelmusik.bistum-fulda.de.