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Getreu Raiffeisen verfahren: „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“

100422_VortragHünfeld/Bad Neustadt. Es gab keinen freien Platz mehr im Servicezentrum der VR-Bank NordRhön eG in Hünfeld; so groß war das Interesse bei den hessischen Landwirten, mehr über die Möglichkeiten landwirtschaftlicher Energienetzwerke zu erfahren. Referent Michael Diestel, Geschäftsführer des Kreisbauern-verbandes Rhön-Grabfeld, gab einen Überblick über die bereits bestehenden regenerativen Energieanlagen in dem unterfränkischen Nachbarkreis, an denen Landwirte, Einwohner und Kommunen beteiligt sind und von denen sie inzwischen finanziell profitieren.

Der Vortrag, der unter dem Motto stand „Gemeinschaft: Menschen bewegen – Strukturen, die Hunger nach Projekten haben“, fand im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsvorhabens „Biosphären-reservate als Modellregionen für Klimaschutz und Klimaanpassung“ für den hessischen Teil des Biosphärenreservats Rhön statt. Das Klimaschutzprojekt, das vom Bundesamt für Naturschutz ausgelobt wurde und vom Bundesumweltministerium finanziert wird, widmet sich den Themen klimafreundliches Haus, Aufbau landwirtschaftlicher Energienetzwerke, beinhaltet Klimafachvorträge und soll kleine und mittelständische Unternehmen hinsichtlich der Energieeffizienz beraten.

Mit erneuerbaren Energien sei viel Geld zu verdienen, und das auf lange Sicht, sagte der Sachgebietsleiter Biosphärenreservat Rhön beim Landkreis Fulda, Martin Kremer. „Wir sollten deshalb das Geld bei uns in der Region lassen und Energieprojekte, wo immer es geht, gemeinsam angehen, damit unsere Landwirte und unsere Dörfer davon profitieren“, sagte Kremer. Gleichzeitig erklärte er, dass er die Entwicklung bezüglich Biogasanlagen in der hessischen Rhön inzwischen „mit Sorge“ sehe.

„Wir haben eigentlich genug davon“, meinte Kremer. Inzwischen würden immer mehr Äcker in der Rhön mit Mais bestellt, der anschließend in Biogasanlagen lande. „Wir laufen in einen Wettbewerb zwischen Energielandwirten und Milchbauern“, skizzierte der Sachgebietsleiter die Situation. Oft höre er auch von Bürgermeistern Beschwerden, dass die Dörfer über zunehmenden Gülle- und Maistourismus in Form schwerer Transporter klagen. „Außerdem ist es ein Unterschied, ob sich ein Landwirt mit zwei Millionen Euro verschuldet, oder ob das 30 oder 40 gemeinsam tun und das Energiegeschäft als zusätzliches Standbein zu ihrer eigentlichen Produktion betrachten.“

100422_MichaelDiestel„Wir sehen im Klimaschutz und damit verbunden in den erneuerbaren Energien das Potential für den ländlichen Raum schelchthin“, sagte Diestel. Gleichzeitig zitierte er Friedrich Wilhelm Raiffeisen mit dem Satz „Das Geld des Dorfes dem Dorfe“. „Dieser Satz von Raiffeisen ist die Antwort auf die Weltwirtschaftskrise. So etwas wie diese Krise wäre in einem Dorf undenkbar, weil dort jeder jeden kennt.“ Raiffeisen, der als Begründer der Genossenschaft gilt, habe in der Not seiner Zeit Winzergenossenschaften, Viehhandelsgesellschaften und die Darlehens-kasse gegründet; ja sogar Straßen gebaut, damit die Waren auch vernünftig transportiert werden können. „Wenn ich für unsere landwirtschaftlichen Energiegenossenschaften im Landkreis Rhön-Grabfeld spreche, dann ist Raiffeisen unsere Leitfigur. Wir fragen uns immer wieder: Was würde wohl Raiffeisen jetzt tun?“, hob Diestel hervor. Es gebe aus heutiger Sicht, vor dem Hintergrund der Probleme, die aus der Weltwirtschaftskrise resultieren, und vor dem Hintergrund des Klimawandels, keinen Grund mehr, das Geld in fremde Staatsanleihen zu schicken. „Wir müssen es dort lassen, wo es erwirtschaftet wird.“ Im Landkreis Rhön-Grabfeld habe es 2009 ein privates Geldvermögen von rund 4,4 Milliarden Euro gegeben – „daraus könnte man viel machen.“

Ein Energieprojekt im Landkreis Rhön-Grabfeld sei die Photovoltaik-Freilandanlage in Großbardorf. Sie habe vier Millionen Euro gekostet. Für die Beteiligung seien 3 000 Euro pro Erwachsener angefallen – insgesamt habe man so 30 Prozent der Bevölkerung von Großbardorf erreichen können, nannte Diestel ein Beispiel. Ein anderes Projekt ist die Biogasanlage von Bad Königshofen. „Die Landwirte bestellen zusammen das Saatgut und organisieren gemeinsam die Ernte.

In dieser Biogasanlage liegt also Gemeinschaftssinn“, meinte Diestel. Ein Projekt der Zukunft sei eine Abfallbiogasanlage, in der der täglich anfallende Biomüll verarbeitet werden soll. „Jedes Dorf muss in der Lage sein, seine eigenen Potentiale zu nutzen, dann ist es auch bei den Menschen“, sagte Diestel. Die Genossenschaftsbank vor Ort könne dabei ein Motor sein und die Schaffung möglichst vieler dezentraler Genossenschaften unterstützen.

Auch auf die Windenergie – ein durchaus umstrittenes Thema – ging Michael Diestel ein. Es gebe immer Standorte, die für eine Windkraftanlage geeignet seien, „und die auch nicht verhindert werden können“. Diestel: „Wer zuerst kommt, malt zuerst. Und warum sollte man es fremden Investoren überlassen, in diesem Bereich Geld abzuschöpfen?“, fragte er die anwesenden Landwirte. In Bezug auf Windenergie sei ein enges Zusammengehen mit der Kommune erforderlich, um eine Fläche dafür vorzusehen und schnell eine Bauvoranfrage zu stellen.

100422_Klimaschutz„Das Konzept, das wir erarbeitet haben, wollen wir gerne weitergeben. Wir sehen ein Riesenpotential im ländlichen Raum, wenn viele Genossenschaften zusammen Projekte entwickeln, und das über regionale Grenzen hinaus“, meinte Diestel abschließend, der neben seiner Funktion als Geschäftsführer im Kreisbauernverband Rhön-Grabfeld auch noch als Geschäftsführer der Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen Energie e.G. in Bad Neustadt und als Geschäftsführer der Agrokraft GmbH Bad Neustadt tätig ist. Der Geschäftsführer des Kreisbauernverbandes Fulda-Hünfeld, Dr. Hubert Beier, machte darauf aufmerksam, dass Bemühungen, auf dem Sektor der erneuerbaren Energien tätig zu werden, die Struktur vor Ort verändern werden. „Wenn wir es weiter so gemütlich in unserer Landschaft haben wollen, dann müssen wir den Strom weiter so wie bisher erzeugen. Die Landschaft wird sich durch erneuerbare Energieprojekte verändern, aber wenn die Bürger vor Ort beteiligt sind, sehen sie diese Entwicklung mit ganz anderen Augen“, meinte Beier.

Martin Kremer sagte, dass innerhalb des Klimaschutzprojekts für den hessischen Teil des Biosphärenreservats Rhön die Möglichkeit besteht, eine eintägige Tagung anzubieten, um über das Thema landwirtschaftlicher Energienetzwerke zu beraten. „Außerdem bieten wir drei Initiativen, die sich in diesem Rahmen zusammenfinden wollen, ein Beratungsverfahren durch die Agrokraft GmbH Bad Neustadt an.“

Fotos: Carsten Kallenbach

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