Fulda. Während einer Reise durch Nordafrika vor einigen Jahren sah ich immer wieder, wie sich Fußspuren im Sand der Wüste in der Ferne verloren. Dieses Bild hilft mir zurückzuschauen und festzuhalten. Wir alle sind unsere Wege gegangen und haben Spuren hinterlassen, manche sichtbaren und viele unsichtbaren. Es wäre heilsam, wenn wir das innerlich einholen könnten.
Ein gutes Stück Weges sind viele in den Gemeinden unseres Bistums im vergangenen Jahr mit anderen gemeinsam gegangen. Da fallen mir zunächst ganz zarte Spuren ein, Schritte, die noch kaum erkennbar sind. Sie gehören den Kindern, die durch das Sakrament der Taufe zu Jesus Christus und seiner Kirche gekommen sind.
Einige tausend Kinder wurden im zu Ende gegangenen Jahr getauft und damit unserer Verantwortung übergeben. Sind wir uns dessen eigentlich bewusst? Wie ernst nehmen wir die religiöse Begleitung der Kinder? Geben wir ihnen neben guter Nahrung, Kleidung und Spielzeug auch das, was sie für ein Leben mit Christus und in der Kirche brauchen?
Wenn ich fortfahre mit meiner Spurensuche, entdecke ich, wie zunächst auseinanderliegende Spuren immer näher zusammenkommen und dann schließlich nebeneinander verlaufen. Sie verweisen auf jene, die in unseren Gemeinden den Bund fürs Leben geschlossen haben.
Es waren einige hundert Paare, die je verbindlich ihr „Ja“ sagten und dadurch eine beglückende, aber auch gefährdete Gemeinschaft begannen. Wie oft müssen sich junge Eheleute heute gegen einen ehefeindlichen Zeitgeist wehren. „Haltet an Eurer Überzeugung fest und glaubt daran, dass Ihr in der Ehe miteinander glücklich werden könnt!“, möchte ich ihnen zurufen. Als Gemeinden dürfen wir sie auf ihrem Weg nicht so allein lassen.
Und noch etwas sei in diesem Zusammenhang festgehalten: Bevor Menschen sich über gescheiterte Ehen selbstgerecht erheben oder auch nur den Ehekrach bei den Nachbarn süffisant weitererzählen, sollten sie sich lieber fragen, ob nicht vielleicht sie selbst dadurch gefehlt haben, dass sie zu wenig vorlebten, wie eine geglückte Liebes- und Ehegemeinschaft aussehen kann: Worte belehren nur, das Beispiel fasziniert.
Wir sollten besonders die in unser Gebet einschließen, deren Spuren im letzten Jahr 2009 immer mehr auseinander gegangen sind: alle, die sich durch Streit, Neid, Eifersucht und Missgunst entfremdet haben. Und da sind schließlich noch solche Spuren, die plötzlich abbrechen. Manche von ihnen lassen erkennen, dass sie von müden Füßen getreten wurden, von Menschen, die in ihrem Leben schon weit gegangen sind. Aber da sind auch welche, an denen man ablesen kann, dass noch kräftig geschritten wurde, bis unerwartet der Schritt versagte.
Wohin sind sie gegangen, unsere Toten, deren Namen und Gesichter uns noch so vertraut sind? Wir wollen sie Gottes Güte und Barmherzigkeit übergeben. Wir sollten aber auch die Trauernden nicht vergessen, nicht über deren Schmerz mit ein paar wohlfeilen Worten hinwegreden. Wenn wir ihr Leid mitzutragen versuchen, können wir ihnen vielleicht eine Brücke zu jener Hoffnung sein, die sich festmacht an Jesu Wort: „Ich lebe und auch ihr werdet leben“ (Johannes 14, 9).
Manchen Spuren sind wir bisher nachgegangen. Eine sollten wir wenigstens noch kurz erwähnen: unsere eigene, markant eingetreten oder müde schleppend. Verlief sie zielgerichtet oder hat es uns hier und da aus der Bahn geworfen? Haben wir danach wieder Tritt gefasst? Versuchten wir unseren Weg fernab von den Spuren der anderen zu finden, eigenwillig, exzentrisch oder egoistisch? Oder haben wir, wenigstens manchmal, für andere, die keinen Ausweg mehr fanden, eine gute, hilfreiche Spur getreten?
Mit dem Bild von den Spuren im Sand der Wüste verknüpfe ich ein für mich sehr wichtig gewordenes anderes Bild, das mir die Heilige Schrift über den Propheten Jesaja schenkt. Gott gibt da die wunderbare Zusage: „Bis ihr grau werdet, will ich euch tragen. Ich habe es getan, und ich werde euch weiterhin tragen, ich werde euch schleppen und retten“ (Jesaja 46, 4). Wie immer unser Weg im Jahr 2009 gewesen ist, was immer im neuen Jahr 2010 sein wird: das zu wissen, liebe Leserinnen und Leser, hat Gelassenheit und stille Freude zur Folge. Im Vertrauen auf dieses Getragen-Sein können wir alles, alles schaffen.