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20 Jahre Mauerfall – Kolpingwallfahrt und Pontifikalamt mit 2000 Gläubigen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze

Fulda/ Erfurt. Am 3. Oktober hatten die Kolpingwerk Diözesanverbände Erfurt und Fulda zu einer gemeinsamen Dank-Wallfahrt zum Point Alpha eingeladen. Anlass ist das Gedenken an 20 Jahre Mauerfall welcher sich im November 1989 so überraschend ereignete. 2.000 Gläubige feierten zusammen mit den Diözesanbischöfen Dr. Joachim Wanke(Erfurt) und Heinz Josef Algermissen (Fulda) ein Pontifikalamt in der gänzlich überfüllten Panzer-Fahrzeughalle des US-Camps.  Bischof Wanke zeigte sich beeindruckt von diesem ungewöhnlichen Gottesdienstort und sagte zu Beginn seiner Predigt “Das ist wahrlich ein besonderer Ort für eine Eucharistiefeier: Eine ehemalige Panzerhalle wird zum Ort des Gotteslobes. Ein Platz, der einstmals der Absicherung einer höchst brisanten Grenze diente, versammelt nun Menschen grenzüberschreitend als eine betende Gemeinde.“

Stefan Sorek Stefan Sorek

Vor dem feierlichen Gottesdienst pilgerten über 1000 Kolpingbrüder und -schwestern aus den Kolpingsfamilien der Diözesanverbände Erfurt und Fulda von Ost nach West auf dem ehemaligen Kolonnenweg entlang des Grenzzaunes zum amerikanischen Stützpunkt. Unter den Wallfahrern waren ebenfalls Kolpinger aus den Diözesanverbänden Würzburg und Dresden-Meißen.

In einer Statio in Höhe eines ehemaligen DDR-Wachtturmes wurde der Dank über die friedliche Wende zum Ausdruck gebracht und in den Worten aus dem Psalm 18 „ Mein Lebenslicht, Gott, lässt du hell erstrahlen, die Dunkelheit verwandelst du in Licht. Mit meinem Gott kann ich Mauern überspringen. Darum will ich Dir danken, und deinen Namen will ich mit Liedern loben.“ zusammenfassend in einem Gebet gesprochen. Der beeindruckende Bannerzug der die große Schar der Wallfahrer anführte, führt entlang des Mettalgitterzaunes bis zum Gelände von „Point Alpha“.

Der ehemalige amerikanische Beobachtungspunkt “Point Alpha” in Osthessen hat in den zurückliegenden Jahrzehnten eine Fülle militärisch-brisanter wie auch politisch-ergreifender Momente erlebt. Besonders in den vergangenen zwei Jahrzehnten – in denen sich an diesem Punkt eine Mahn- und Gedenkstätte etablierte und jährlich bis zu 100.000 Menschen zu Besuch kommen – ist  “Point Alpha”  zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Vergangenheitsbewältigung wie auch der Hoffnung auf eine friedliche Zukunft der Menschen geworden. “Point Alpha” war bis kurz vor Auflösung des Warschauer Paktes einer der militärstrategisch bedeutendsten Orte des “Kalten Krieges”.

Stefan Sorek Stefan Sorek

Zu Beginn des Gottesdienstes dankte Bischof Heinz Josef Algermissen den mutigen Bürgerrechtlern und friedlichen Demonstranten sowie Politikern und Kirchenvertretern, die prophetisch und entschieden gehandelt hätten. Durch ihren Beitrag sei ein Unrechtssystem gewaltlos zu Fall gekommen und Deutschland wieder vereint worden. „Das ist aber nicht allein ein Werk von Menschen sondern hier hat Gott selbst ein Zeichen gesetzt und in die Freiheit hinausgeführt.“, betonte der Fuldaer Bischof mit den Worten aus Psalm 66. “Freiheit ist ein ebenso kostbares wie anspruchsvolles Gut. Als Christen müssen wir immer wieder darauf hinweisen, dass es keine Freiheit ohne Bindung und Begrenzung geben kann. Das bedeutete Willkür und die Macht des Stärkeren” sagte Algermissen wörtlich. Christen müssten “Gesicht zeigen gegen alle Kräfte, die mit billigen Parolen und auf menschenverachtende Weise ihre extremen Vorstellungen durchsetzen wollen”. Bischof Algermissen ermahnte, dass auch 20 Jahre nach der Wende noch immer, eine Verklärung der DDR zu entlarven und die Erinnerung an das Unrechtsregime wach zu halten sei, welches Menschen systematisch bespitzelt, eingemauert und Andersdenkende eingesperrt und gefoltert hat.

Der Erfurter Diözesanbischof stützte seine Predigt auf drei Kolpingworte. Zuvor drückte er seine Freude über die friedliche Revolution in Deutschland und die folgende Grenzöffnung aus: “Auch 20 Jahre danach ist das für mich immer noch ein Wunder und wir müssen Gott danken auch wenn wir wissen, welchen Anteil an diesem Geschehen damals glückliche politische Umstände und tapfere Menschen hatten”.

“Alles ist jetzt so schrecklich normal geworden”, sagte Wanke. “Wir im Osten brauchen keine Angst vor der Partei und der Stasi haben, wir können frei unseren Glauben bekennen, können reisen, wohin wir wollen. Und ihr im Westen könnt ohne Probleme die Menschen im Geisaer Land besuchen, selbst jene im ehemaligen 5-km-Sperrgebiet. So ist das eben mit der Freiheit: Wenn man sie nicht hat, erscheint sie als höchstes Hoffnungsgut. Hat man sie aber, wird sie selbstverständlich und macht viele Leute träge.” Diese Erfahrung auf die Christen und das religiöse Leben in den Pfarrgemeinden übertragen, mache die große Bedeutung des Glaubens klar.

Das von Kolping stammende Wort: „Die Religion ist die höchste Gabe des Himmels. Durch sie ist der Mensch das, was er ist.“ haben die Gläubigen in Thüringen selbst immer wieder erfahren: Wer sich an Gott und die Kirche gehalten hatte, sei gegenüber der alten Ideologie widerstandsfähiger gewesen; war nicht so schnell bereit, alles mitzumachen oder gar seine Gewissensüberzeugungen zu verraten: “Sicher, das war nicht einfach. Das kostete Mut. Aber der Glaube gab Kraft, dort, wo es Not tat, auch einmal Nein zu sagen.”

Bischof Wanke sprach aber auch die heutige Situation an und mahnte wörtlich: “Ihr merkt doch, wohin uns der Zeitgeist drängen will: Unterhaltung, Zerstreuung, Konsumieren und das Böse in uns und um uns verleugnen, als ob es dies nicht gäbe. Jetzt kommt noch hinzu ein neuer aggressiver Atheismus, beinahe wie damals in der DDR, der Religion als falsches Denken deklariert, für rückschrittlich, ja für gefährlich hält. Hat uns Gott die Freiheit gegeben, damit wir jetzt in der Freiheit den Glauben unserer Väter und Mütter aufgeben? Erreichen die SED-Ideologen von damals mit ihrem Kampf gegen die Kirche nun doch noch ihr Ziel?”

Bischof Wanke rief die Gläubigen auf auch in diesen Zeiten zu zeigen, was Treue im Glauben und im Christsein heißt. Natürlich erhofften sich auch Christen von der sozialen Marktwirtschaft, dass sie sozial bleibt und allen ein Auskommen ermöglicht. “Wir glauben nicht an den Euro, sondern wir glauben an das, was Gott zu schenken vermag: sein Reich, sein Leben, seine Liebe, die allein unsere tiefste Sehnsucht stillen kann. Helft mit, dass hier in der Rhön, hier in Thüringen und Hessen über allen Menschen der Himmel offen bleibt.”

„Du musst prägen, sonst prägen andere!“  so das zweite Kolpingwort in der Predigt des Bischofs. Die Kirche geht gegenwärtig Zeiten entgegen, in denen Getauft und Gefirmte ein neues Selbstbewusstsein gewinnen müssen. “Vieles wird sich ändern und hat sich schon geändert. Die Messzeiten sind nicht mehr so bequem wie früher und der nächste Pfarrer wohnt weiter weg, als euch lieb ist. Aber heißt das, dass damit das Kirchenjahr abgeschafft ist? Bedeutet das, dass wir das gemeinsame Beten einstellen und die Prozessionsfahnen einrollen können?” fragte Wanke. „Du kannst prägen!“ ruft Adolph Kolping auch den Menschen heute zu. Er hat die Kirche seiner Zeit geprägt, nicht nur durch den Gesellenverein, sondern auch durch seine Frömmigkeit und sein gesundes katholisches Selbstbewusstsein.

Stefan Sorek

“Diese Aufgabe sehe ich heute für uns Christen: Wir müssen das Herz auftun und durch Wort und Tat zeigen, was wir glauben und bekennen. Das fängt in der Familie an, geht am Arbeitsplatz weiter, setzt sich im Vereinsleben und in der Kirchgemeinde fort. Setzt Zeichen des Glaubens in diesem Land, haltet fest an der Gottesdienstpraxis am Sonntag, der Feier der kirchlichen Feste, dem katholischen Brauchtum, dem Gebet in der Familie – denn wenn ihr nicht prägt, prägen dieses Land andere. Das ist es, was wir Christen brauchen, seien wir evangelisch oder katholisch: demütiges Selbstbewusstsein, sanfte Entschiedenheit und ein Engagement, das – bei aller Gelassenheit und Lockerheit – sich nicht einschüchtern lässt. Es braucht Glaubenszuversicht, dass Gott nicht nur in der Vergangenheit Wunder getan hat, sondern dass er solche auch heute tun kann – wenn wir ihm vertrauen.”

Mit dem dritten Wort von Kolping „Wer Mut zeigt, macht Mut!“ wollte Bischof Wanke zum Glaubenszeugnis auffordern. Heute ist von Christen sicher eine andere Art von Mut gefragt als in der alten DDR-Zeit oder gar damals in der NS-Zeit. Der Gottesglaube als Ganzer steht neu auf dem Prüfstand.

„Der liebe Gott wird bei mir schon mal eine Ausnahme machen!“ ist eine Redensart geworden, die Christen fast als selbstverständliche Floskel gebrauchen und damit der schleichenden Gleichgültigkeit gegenüber den Sakramenten und der christlichen Botschaft einen Nährboden bereiten.

Die allgemeine menschliche Erfahrung zähle auch im religiösen Leben: Wer Mut zeigt, macht Mut. Gerade das Glaubenszeugnis gestandener Männer und Frauen sowie ihr Hinweis auf die eigenen stärkenden Lebensquellen im Glauben werden nicht ohne Wirkung bleiben.  “Dir kauft man vielleicht sogar ein Glaubenszeugnis eher ab als einem Pfarrer oder einem Bischof, bei dem so manche denken: Der muss ja so reden.” sagte Wanke.

Es gebe ein echtes Interesse der Menschen an solch einem glaubwürdigen Zeugnis für Gott und seine Verheißungen; es gebe für den christlichen Glauben nicht nur Gegenwind, sondern auch Seitenwind, ja sogar Rückenwind. Die Begegnung mit fremden Religionen lasse mehr und tiefer begreifen, welchen Reichtum wir auch kulturell und gesellschaftlich im christlichen Glauben besitzen. “Darum: Zeigt Mut, dann werden auch andere Mut fassen.” rief der Bischof den Gläubigen zu.

Abschließend gab der Erfurter Bischof den Kolpingern und Gläubigen als Erinnerung an den Tag der deutschen Einheit folgende Worte mit: “So wie wir die Einheit zwischen Ost und West nicht mehr aufgeben wollen, so auch nicht die Verbundenheit von Gott und uns Menschen. Gott hat uns in unserer Lebenszeit das Geschenk der politischen Einheit gemacht. Vergessen wir nicht, dass er uns noch viel mehr zu geben vermag, wenn wir uns von ihm nicht trennen lassen. Das lässt uns auch hoffnungsvoll wieder in unseren Lebensalltag zurückkehren. Und dabei nehmt dies als letztes Wort von Vater Kolping mit: ‚Tue jeder in seinen Kreisen das Beste, so wird es bald in der Welt auch besser werden!‘ “

Im Anschluss an das Pontifikalamt, welches musikalisch von der Wallfahrtskapelle der Kolpingsfamilie Amöneburg und vom Jugendchor aus Deuna (Eichsfeld) gestaltet wurde, gaben der frühere Fuldaer Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Hamberger sowie die Direktorin der Point-Alpha-Stiftung, Frau Uta Thofern,  Informationen zur Mahn- und Gedenkstätte. Danach fand auf dem Gelände des ehemaligen US-Stützpunktes eine freudige Begegnung von Ost und West Kolpingsfamilien statt bei denen viele Erinnerungen ausgetauscht wurden.  Zwischen Erfurter und Fuldaer Kolpingsfamilien bestehen seit Jahrzehnten viele Partnerschaften. Die gemeinsame Wallfahrt am diesjährigen Tag der Deutschen Einheit war für sie eine besondere Begegnung und belebte die alten Bekanntschaften neu. Dabei wurden auch viele neue Kontakte geknüpft.

Insgesamt waren die Verantwortlichen beider Diözesanverbände von dem überaus großen Zuspruch sehr positiv überrascht. Mit so vielen Teilnehmern hatte man im Vorfeld gar nicht gerechnet. Ebenso ist auch das Medieninteresse nicht ausgeblieben. Die vielen positiven Berichte in Fernsehen, Internet, Rundfunk und Tageszeitungen zeigen, dass wir als katholischer Sozialverband unseren Auftrag als „Brücke zwischen Kirche und Gesellschaft“ noch vielmehr wahrnehmen müssten.

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