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Trauer braucht einen Ort

Hanau. Der Friedwald hat gewissermaßen Konjunktur: Bestattet unter Bäumen, in der freien Natur, der Name auf einem kleinen Schildchen angebracht. Keine Arbeit für die Angehörigen, will heißen: die Arbeit im Sinne einer lästigen Grabpflege entfällt. Die Angehörigen haben ohnehin genug zu tun, da soll ihnen nicht auch noch die Pflege eines Grabes zugemutet werden: Ein Grab wirkt, im Vergleich, wie ein alter Zopf. Wirklich?
Ein Blick in unsere Geschichte zeigt: Das Trauern ist notwendigerweise weder minimalistisch noch nihilistisch. So haben etwa die Grabbeigaben eine lange Tradition, und das sind nicht etwa “Besonderheiten”, sondern Dinge aus dem Alltag. Warum gibt es eine solche Tradition, wenn nicht vor dem Hintergrund eines festen Glaubens an ein Leben nach dem irdischen Leben?

Dass der Alltag vieler Menschen extrem voll gepackt ist mit Notwendigkeiten, mit Arbeit, mit Überstunden, kann und soll nicht bestritten werden. Sehr wohl aber darf bestritten werden, dass auch ein sehr voller Alltag keinen Raum mehr für Trauer lässt. Wer trauert, braucht einen Ort, an dem getrauert werden kann. Gerade vor solchem Hintergrund kann die Trauer am Grab – selbst wenn die Zeit nur für ein kurzes Verweilen dort ausreicht – eine wertvolle Hilfe zur Bewältigung des Alltags sein. Welche Hilfe bietet – im Vergleich – ein Ort im Wald, den ich nur mit höherem Zeitaufwand und mit mehr Mühe erreichen kann?

Und wie sieht es erst aus, wenn ich selbst einmal älter bin und mein Gesundheitszustand es mir gar nicht erst ermöglicht, einen Friedwald zum Trauern aufzusuchen – während ich den Weg zum nahen Friedhof immer noch bewältigen kann? “Nach dem Tod ist nichts mehr. Was soll da denn noch sein?” “Vielleicht holt sich noch ein Wurm mal ein bißchen Nahrung von einem selbst, und fertig” “Man lebt doch nur einmal” – das sind alltägliche Äußerungen, die von einer ausschließlich diesseitigen Orientierung des Lebens zeugen.

Das Grab ist weit mehr als eine “überholte Konvention”

Eine ganz andere Chance bietet sich da für die Kirche, insbesondere die Katholische Kirche, die auf eine lange Tradition im Umgang mit dem Tod verweisen kann. Wer tot ist, ist bei Gott – ein fester Glaube, der sich in Traditionen ausdrückt und damit das eindeutige Signal setzt: Nach dem, was wir Tod nennen, ist eben nicht alles vorbei! Aus über zehnjähriger Erfahrung in der Klinikseelsorge weiß ich: Es ist diese Chance, die den Angehörigen bei der Trauerbewältigung hilft, wenn der Trauerfall erst einmal eingetreten ist. “Man lebt nur einmal” eignet sich als Lebensmotto am besten, so lange eben kein Anlass zum Trauern besteht.

Menschen wollen wissen, wo sie bestattet werden. Angehörige müssen die Trauerarbeit, auch organisatorisch, mit ihrem Alltag in Einklang bringen. Das ist eine Realität, die man bedauern, der man sich aber auch stellen muss. Das wiederum kann bedeuten, Bedürfnisse und Realitäten zusammenzubringen.

Themengräber einzurichten ist eine Möglichkeit – wie es das Beispiel der Stadt Braunschweig eindrucksvoll zeigt. Kolumbarien, Innenraum-Kolumbarien wären eine andere Möglichkeit – die überdies der Tradition Rechnung tragen könnte, besondere Menschen an besonderen Orten zu bestatten.

Nicht zuletzt sind Grabstätten immer auch historische Zeugnisse. Sie sagen etwas aus über die Menschen, die dort bestattet sind und über deren Zeit. Das Kinderbuch “Die Brüder Löwenherz”, das vom Sterben und vom Tod handelt und beides Kindern in behutsamer Weise vermittelt, ist durch die Inschrift auf einem Grabstein angeregt worden: Der Autorin Astrid Lindgren fiel eine solche Inschrift bei einem Gang über einen Friedhof in Stockholm auf. Über das Buch entbrannte nach seinem Erscheinen eine bisweilen sehr hitzige Debatte. Heute ist genau dieses Buch ein Klassiker, Sicher nicht zuletzt deshalb, weil es vor der Überzeugung geschrieben wurde: Menschen brauchen Hoffnung und Perspektiven, nicht die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit.

Werner Gutheil
Katholischer Klinikpfarrer
Hanau

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