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Nicht nur Kristall…

Fulda. Am 9. November jährt sich zum siebzigsten Male der Tag, an dem in Deutschland nicht nur Kristall zu Bruch ging, vielmehr erstmals zentral organisiert und geplant jüdische Bürger verfolgt, geschlagen, verhaftet und zu Tode gequält wurden. Ihre Synagogen gingen in Flammen auf, Geschäfte und Wohnungen wurden demoliert und geplündert. Von einer „Reichskristallnacht“ sprach anschließend zynisch die Nazi-Propaganda. Viele schauten damals zu, tief betroffen, ohnmächtig, manche auch teilnahmslos.
Wie gehen wir Christen heute, 70 Jahre später, mit der Tragödie dieser Pogromnacht um, die den Beginn des späteren Holocaust markierte? Oder – als Frage weiter gefaßt: Sind wir bereit, dieses Datum zum Anlaß zu nehmen, uns der Thematik des Verhältnisses von Juden und Christen neu zu stellen?

Parallelen zwischen Christentum und Judentum
Im Verhältnis zwischen Juden und Christen ist in den letzten Jahrzehnten ein entscheidender Wandel zu erkennen. Wesentlichen Anteil an dem Prozeß der Umkehr und Neubesinnung in der katholischen Kirche haben Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und nachkonziliare Verlautbarungen. Darin wird ins Bewußtsein gerufen, was Juden und Christen gemeinsam ist: Der Glaube an den einen Gott, den Schöpfer der Welt, Vater aller Menschen. Der Glaube an die grundlegende Würde des Menschen als Gottes Ebenbild, an die Treue Gottes und an die messianische Vollendung der Geschichte.

Von Jesus Christus haben wir aus der religiösen Überlieferung seines Volkes die Heilige Schrift Israels, die wir Altes Testament nennen. Viele Gebete sind auch unsere Gebete, zum Beispiel die Psalmen. Viele Grundhaltungen Israels vor Gott und dem Nächsten sind auch unsere Grundhaltungen, zum Beispiel die Gotteserkenntnis, die Umkehr, das Vertrauen, der Lobpreis Gottes.

Angesichts dessen stellt sich die Frage: Wie sind die Greuel der Vergangenheit bei so vielen Gemeinsamkeiten, die bis in die Wurzel reichen, zu erklären? Sie wird nur in gegenseitiger Achtung und Kenntnis der gemeinsamen und unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen zu beantworten sein.

Einzigartige Gemeinschaft
Derartige Überlegungen führen zur Erkenntnis einer einzigartigen Gemeinschaft, die uns mit dem Volk Israel verbindet, mit dem Gott einen ewigen Bund geschlossen hat. Es ist dringend nötig, in Verkündigung und Unterricht, in Lehre und Leben der Kirche diese tiefe Verbindung bewußt zu machen. Viele haben das bereits erkannt und sind auf dem Weg zu neuem Verstehen und wachsendem Vertrauen weitergekommen. Andere stehen noch vor dieser Aufgabe, der sie sich ehrlicherweise nicht entziehen dürfen.

Daß es unerläßlich ist, sich genau und objektiv über das Judentum zu unterrichten, ergibt sich auch aus der Gefahr eines versteckten Antisemitismus, der stets daran ist, unter verschiedenen Gesichtern wieder unter uns zu erscheinen. Es geht darum, eine profunde Kenntnis des völlig einzigartigen Bandes zu erwerben, das uns als Kirche an die Juden und das Judentum bindet. Die innige Bindung kommt in einem zentralen Satz der Konzilserklärung „Über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen“ (1965) zum Ausdruck: „Im Bewußtsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgendwelche Menschen verwirft, nicht aus politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle Haßausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben.“ Diese Klage muß jedenfalls Konsequenzen haben.

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